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Jan Böttcher: Nachglühen

Nachglühen

von Jan Böttcher (Biografie)
Verlag: Rowohlt Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Belletristik
ISBN-13 978-3-87134-609-5

Preis: 17,91 Euro bei Amazon.de [Stand: 25. April 2024]
Anne Lewin hatte ihren Mann Jens gedrängt, aus Göttingen fortzuziehen und von seinen Eltern den Deichkrug zu übernehmen, ihre Kneipe am Elbdeich in Stolpau. Anne war ahnungslos, was sie 17 Jahre nach der Wende in einem Winkel der ehemaligen DDR-Sperrzone erwarten würde; denn Jens hatte bisher kaum über seine Jugend zu DDR-Zeiten gesprochen. Auch Jahre nach dem Fall der Mauer ist der fiktive Ort Stolpau ein abgelegenes Kaff, begrenzt von der Elbe und einem an einigen Stellen noch immer verminten Elbdeich.

Zu DDR-Zeiten lag Stolpau in der Sperrzone zu Westdeutschland, zwischen Deich, Sperrzaun und dem Kolonnenweg der Grenzer, rund um die Uhr bewacht und beobachtet von Soldaten der Nationalen Volksarmee. Vom Regime für unzuverlässig erklärte Bewohner wurden umgesiedelt und ihre Häuser abgerissen. Nur ein Abdruck auf der Wiese zwischen Lewins Dorfkrug und Brüggemanns Haus erinnert heute noch daran, dass auf dem Grundstück früher jemand gelebt hat. Die Besitzansprüche von Alt- und Neubesitzern auf diese Wiese sind noch nicht geklärt.

Als Jugendlicher war Jens ganz in die Welt seiner Science-Fiction-Romane eingetaucht, in deren Handlung er damals eine Abbildung der DDR-Wirklichkeit sah. Mit einem subversiven Puppen-Theaterstück und seiner Hauptfigur "Genosse Kasper" handelte Jens sich als Schüler erheblichen Ärger ein. Eine besondere Beziehung verband den unangepassten jungen Mann mit dem Außenseiter Petr, der in Stolpau in einer simplen Hütte hauste und mit einer aus Pappschachteln konstruierten Camera Obscura unterwegs war.

Annes Idee, den Dorfkrug in Stolpau wieder zu eröffnen, wirkt reichlich optimistisch; denn welche Gäste außer vier frauenlosen Männern würden in dem abgelegenen kleinen Ort in eine Kneipe kommen? Gemeinsam mit Jens Eltern planen Anne und Jens eine große Feier zur Neueröffnung. Während Jo Brüggemann sich mit dem Problem herumschlägt, dass er während der Woche in Hamburg arbeitet und eine Betreuung für seinen pflegebedürftigen Großvater organisieren muss, leidet Jens in Stolpau unter zunehmender Schlaflosigkeit, hadert mit der Vergangenheit und denen, die ihn damals denunziert haben. Gespannt verfolgt man, wie Jens seine Verbindung zu Jo zu klären versucht, sich immer stärker zurückzieht und sich schließlich seiner Frau entfremdet.

In Rückblenden und Erinnerungen der wortkargen Dorfbewohner überlagern sich Gegenwart und Vergangenheit, Realität und Phantasie. In Stolpau wird wenig gesprochen; aus unterschiedlichen Gründen gehen Nachbarn, Familienmitglieder und auch Anne und Jens einander aus dem Weg. Wie alle anderen schweigen sich auch Großvater, Vater und Sohn Brüggemann über ihre distanzierte Beziehung zueinander aus. Ob Stolpau früher durch die Mauer von der Welt abgeschnitten war oder heute unzugänglich in den Elbauen liegt, ob die Sprachlosigkeit zwischen seinen Bewohnern in Ereignissen aus DDR-Zeiten oder in der Gegenwart begründet ist, scheint belanglos.
Fazit
Vor einer düsteren Landschaft in schlammigen Farbtönen vermittelt Jan Böttcher seinen Lesern das fein beobachtete Gesellschaftsbild eines Dorfes in der norddeutschen Provinz.
8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne
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Vorgeschlagen von Helga Buss [Profil]
veröffentlicht am 08. März 2008

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