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Rebecca Gablé: Der König der purpurnen Stadt

Der König der purpurnen Stadt

von Rebecca Gablé (Biografie)
Verlag: Ehrenwirth Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: historischer Roman
ISBN-13 978-3-431-03439-4

Preis: 7,74 Euro bei Amazon.de [Stand: 23. April 2024]
In London schreibt man das Jahr 1330. Vor drei Jahren kam mit Edward III. ein junger, ehrgeiziger König an die Macht. Getrieben von diesem Ehrgeiz, wird er sich in das militärische Abenteuer eines Krieges mit Frankreich werfen, um die französische Königskrone zu gewinnen - einen Krieg, den man später den Hundertjährigen nennen wird.
Das ist eine ganz andere Welt als die, in der Jonah Durham heranwächst. Ein verschlossener, wortkarger Waisenjunge, der bei seinem verhaßten Onkel Rupert in die Lehre geht. Tuchhändler soll er werden, so hatte es Rupert Hillock Jonahs Mutter versprochen. Daß er oder der Rest seiner Familie es Jonah leicht machen sollte, nicht. Schläge, Essensentzug und die Launen von Stief- und Großmutter hat Jonah zu erdulden.
An Talent mangelt es Jonah nicht, und auch nicht an Ideen. Doch der Lehrvertrag und die strengen Regeln der Londoner Tuchhändlergilde lassen ihm nicht viele Freiheiten. Sieben Jahre Gehorsam und Arbeit ohne Entgelt, nur ab und an unterbrochen von Kirchgang, gelegentlichen Jungmänner-Abenden unter Aufsicht des Gildenpriesters und den jährlichen Weihnachtsschauspielen.

London ist im 14. Jahrhundert eine Großstadt. Mönche und Büttel, Bettler und Handwerker, Huren und Kaufleute aus aller Herren Länder drängen sich in den engen Straßen und lärmigen Wirtshäusern. Das wirtschaftliche Leben wird von den Gilden kontrolliert, die eifersüchtig ihre Monopole hüten. Die Tuchhändlergilde gehört zu den einflußreichsten: Viel Gold haben die Kaufleute damit gemacht, die Wolle der englischen Schafe zu exportieren und kostbare Woll-, Leinen- und Seidenstoffe zu importieren. Geld, auf das gerade der König angewiesen ist - aufwendige Hofhaltung und lange Kriegszüge erfordern ständige Steuererhöhungen.
Im Gegenzug konnten die Londoner den Königen die Selbstverwaltung der Stadt abtrotzen. An der Spitze der Büttel, Stadtwachen und sonstigen Beamten steht ein Bürgermeister, den die Aldermen aus ihren Reihen wählen. Die Aldermen ergänzen sich wiederum aus der Schar der einfluß- und erfolgreichsten Meister der Gilden Londons, und auch in diesen Gilden gibt es eine lange Hierarchieleiter, vom kleinen Lehrling bis zum Warden. Der hat nicht nur das Recht, zusammen mit den anderen Oberhäuptern über Gildenangehörige zu richten, er ist auch für die Gildenkasse zuständig, mit der in Not geratenen Gildenmitgliedern geholfen werden kann.
Außerhalb dieser illustren Kreise stehen die Armen. Ohne Einfluß, oft genug ohne Broterwerb, sind sie auf die Mildtätigkeit der Reichen angewiesen, auf Almosen und Suppenküchen. Einige gehen dunklen Geschäften nach, brechen in die Häuser der Reichen ein, fälschen Dokumente oder schneiden im Gedränge Passanten die Geldbeutel ab. Meist enden sie am Galgen, wenn sie nicht zuvor in den stinkigen Gefängnissen der Stadt krepieren. Andere widmen sich dem Laster, Sauferei, Hurerei und Glücksspiel, die dem sündigen London den Beinamen "purpurne Stadt" gegeben haben.
Inmitten dieses wimmelden, matschigen, lärmenden Chaos beginnt Jonahs steiniger Aufstieg. Wie schon seine Vorgänger Robin of Waringham und Caedmon of Helmsby ("Das Zweite Königreich") läßt Rebecca Gablé ihn Bekanntschaft machen mit den Großen und Prominenten seiner Zeit, aber auch tiefes Unglück kennenlernen, Zeuge bedeutender Ereignisse und vieler Kleinigkeiten werden, die zufälligerweise bis in unsere Tage überliefert wurden. Zu Jonahs Leidwesen (und zur Freude des Lesers) verläuft die Karriere des Kaufmanns viel steiniger, wendungs- und abwechslungsreicher, als sich das der kühle Rechner so gedacht hat...

Ein strahlender Held in schimmernder Rüstung wollte Jonah Durham nie werden, dafür ist er viel zu sehr Kaufmann. Seinen Zeitgenossen wäre er ungewöhnlich innovativ und aufgeschlossen vorgekommen, als ein ausgesprochen gutherziger und ehrenhafter Mann mit untadeligem Sinn für Gerechtigkeit.
Weit mehr als seine Vorgänger bleibt Jonah aber Kind seiner Zeit: Seine Lehrlinge und Kinder zu schlagen, ist für ihn so selbstverständlich wie die uneingeschränkte Autorität, mit der er über Familie und Angestellte herrscht. Rachsüchtig verfolgt er eine alte Familienfehde bis auf die letzten Seite, sieht bei allen Unternehmungen auf seinen Vorteil und scheut sich nicht, auch mit der Not anderer Geld zu machen. Geschäftssinn und harte Arbeit prägen sein Leben, das ihm die Autorin des öfteren schwer macht, und selbst seiner größten Leidenschaft, der Schauspielerei, fröhnt Master Durham nur so weit, wie es mit seinem nüchternen Pragmatismus vereinbar ist.

Diese Seiten machen den Londoner Kaufmann nicht nur historisch glaubwürdig, Durham wirkt mit all seinen Widersprüchen und Schwächen ausgesprochen menschlich und lebendig. Es ist kein edler Ritter ohne Furcht und Tadel, für den die Autorin uns Leser zu interessieren weiß, wir können mit einem Menschen mitfiebern, wie er wirklich gelebt haben könnte.

Durhams Leben ist nur eine erfundene Geschichte, aber ähnliche Menschen haben in seiner Zeit ähnliches erreicht. Geschickt verbindet Gablé ihre Fiktion mit wahren Ereignissen, urkundlich belegten Details des Londoner Alltags und den Schicksalen historischer Persönlichkeiten. Am Ende hat der Leser nicht nur einen spannenden Roman durchgeschmökert, sondern auch viel über die Menschen aus einer Zeit erfahren, die in einem Monat sehr vertraut erscheinen, im nächsten aber exotisch und fremd.
Die Erzählung endet in den Tagen der Großen Pest, die 1348/49 ein Drittel der Menschen Europas dahinraffte, ganze Landstriche wüst und verlassen hinterließ und das Ende einer Epoche einläutete, die Gablé kenntnisreich und meisterhaft spannend in einem Roman verpackt hat.


Der Verlag hat den "König der Purpurnen Stadt" mit einer Farbkarte des damaligen Londons, mehreren gelungenen Illustrationen und einem Lesezeichen-Faden versehen. Der Band ist stabil genug, um auch eine längere Reise durch den Bekanntenkreis zu überstehen.
Mit dem "König der purpurnen Stadt" hat Rebecca Gablé sich nochmals gesteigert und einen hervorragenden Historienromane vorgelegt. Der Leser wird prächtig und spannend unterhalten, Geschichte und Fiktion sind glaubwürdig verwoben, und wer will, kann eine Menge Spannendes über das Mittelalter lernen, ohne sich belehrt zu fühlen.
Fazit
Wer fürs Mittelalter und historische Romane etwas übrig hat, sollte sich diesen Roman zulegen. Wenn möglich, an einem Freitagabend - und am Montag sollte nichts auf dem Plan stehen, das sich nicht mit einem langen, schlaflos durchgeschmökerten Wochenende vereinbaren läßt... Bestnote!
9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne
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Vorgeschlagen von Andreas P. Rauch [Profil]
veröffentlicht am 27. Januar 2003

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