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Herfried Münkler: Die neuen Kriege

Die neuen Kriege

von Herfried Münkler
Verlag: Rowohlt Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Politik
ISBN-13 978-3-498-04487-9

Preis: 4,91 Euro bei Amazon.de [Stand: 27. März 2024]
Die Terroranschläge auf die USA am 11. September 2001 haben es für jedermann sichtbar gemacht: es gibt eine neue Kriegsform. Die sogenannten klassischen Staatenkriege, die die Szenarien des Kalten Krieges während der Ost-West-Konfrontation geprägt haben, gehören der Vergangenheit an. Die Staaten haben als "Monopolisten des Krieges" faktisch abgedankt. An ihre Stelle treten immer häufiger paastaatliche, teilweise sogar private Akteure, etwa Warlords, Söldnerfirmen und internationale Terrornetzwerke, die Kriege führen. Die sogenannten "neuen Kriege" sind außerdem durch die sogenannte "asymetrische Kriegsführung" gekennzeichnet. Dies bedeutet, dass in der Regel nicht mehr gleichartige Gegner miteinander kämpfen. Es gibt keine Fronten mehr, sodass sich die militärischen Kräfte nicht aneinander reiben, sondern sich gegenseitig schonen und die Gewalt stattdessen gegen die Zivilbevölkerung richten. Formen des Partisanenkrieges, die dadurch gekennzeichnet sind, dass es im Gegensatz zu den "alten Kriegen" keine "Entscheidungsschlacht" im herkömmlichen Sinne gibt, die zu einem Ende des Krieges und zu einem fest definierten Waffenstillstand und späteren Frieden führen, kennzeichnen die neuen Kriege. Die "neuen Kriege" entwickeln sich überwiegend an den Rändern und Bruchstellen der einstigen Imperien und in Regionen, wo eine stabile Staatenbildung nicht stattgefunden hat. So ist es laut Münkler kein Zufall, dass dort, wo eine solche stabile Staatenbindung stattgefunden hat, wie in Westeuropa und Nordamerika, Zonen dauerhaften Friedens entstanden sind, während dort, wo es nicht zur Entstehung einer "robusten Staatlichkeit" gekommen ist, Kriege entstehen.
Münkler zeigt auf, dass zur Entstehung neuer Kriege mehrere Ursachen zusammenwirken und die Kriege und ihre - im Vergleich zu den klassischen Staatenkriegen sehr viel längere - Dauer durch ein schwer durchschaubares Gemenge aus persönlichem Machtstreben, ideologischen Überzeugungen, ethnisch-kulturellen Gegensätzen sowie Habgier und Korruption verursacht worden sind. Dies ist auch laut Münkler der Grund dafür, der es so schwer macht, diese Kriege zu beenden und einen stabilen Friedenszustand herzustellen. Im Gegensatz zu den sogenannten "Staatenbildungskriegen" (wozu Münkler etwa den amerikanischen Bürgerkrieg zählt) und den "Staatszerfallkriegen" in der Dritten Welt oder der Peripherie zwischen Erster und Zweiter Welt besteht laut Münkler darin, dass die Staatenbildungskriege ohne größere Einflüsse von außen verlaufen sind, während letztere durch ständige politische Einflußnahmen von außen am "Kochen" gehalten werden. Dramatische Züge habe die Entwicklung insbesondere dadurch erhalten, dass zum traditionellen Tribalismus die neuen Formen der Globalisierung, der sogenannten Schattenglobalisierung, hinzugekommen seien. Die "neuen Kriege" dauerten - so Münkler - vor allem deshalb so lange, weil äußere Faktoren (Unterstützung einer Kriegspartei durch ideologisch verwandte Regime oder neue Formen der Schattenglobalisierung, d.h. der wirtschaftlichen Unterstützung von außen, etwa Emigrantengemeinden) die Erschöpfung der Kriegsparteien verhinderten. Ohne Anlehnungsmächte währe die lange Kriegsdauer etwa in Angola, dem Sudan, Afghanistan oder Sri Lanka nicht möglich. Es handelt sich in all diesen Fällen um lange inergesellschaftliche Kriege. Münkler stellt auch fest, dass nicht die Armut die Gefahr einer Eskalation von Gewalt und dadurch den Ausbruch von Kriegen begünstigt, sondern soziale Ungerechtigkeit Konflikte und Kriege begünstigt. Dies bedeutet konkret, dass das Nebeneinander von bitterem Elend und unermesslichem Reichtum ein aussagekräftiger Indikator für die Wahrscheinlichkeit, mit der innergesellschaftliche Auseinandersetzungen in offene Bürgerkriege umschlügen, darstellt. Die Wahrscheinlichkeit, dass solche Bürgerkriege nicht nach einem kurzen und heftigen Gewaltausbruch enden, sondern sich zu lange währenden transnationalen Kriegen auswachsen, steigt in dem Maße, wie auf dem umkämpften Territorium Bodenschätze vermutet werden, die durch ihre weltwirtschaftlihe Vermarktung Quellen des Reichtums für jene werden könnten, die sie notfalls auch mit Gewalt unter ihre Kontrolle bringen.

Hinzu kommt die Gefahr des internationalen Terrorismus. Terrorismus wird durch Münkler dadurch charakterisiert, dass er eine Form der Gewaltanwendung darstellt, die wesentlich über die indirekten Effekte der Gewalt ERfolge erringen will. Sie sind gekennzeichnet durch die sogenannte asymetrische Kriegsführung. Die klassische Kriegsführung war dadurch gekennzeichnet, dass im Prinzip gleichartige Gegner ihre Gleichartigkeit anerkannten und sich dadurch "in Schach hielten". Im Ost-West-Konflikt erkannten beide Blöcke, dass sie sich gegenseitig vernichten konnten. Dies führte zu Rüstungswettläufen, aber auch zu Rüstungsbegrenzungsvereinbarungen oder Abrüstungsschritten. Bei den sogenannten "neuen Kriegen" jedoch, dem Partisanenkrieg, dem Terrorismus oder der Intifada können militärisch überlegene Staaten gegen sogenantne "asymmetrische Strategien" nichts ausrichten, wie Vietnam, Afghanistan oder die Terroranschläge des 11. September 2001 gezeigt haben. Hierin, in sogenannten aufgezwungenen asymmetrischen auschverhältnissen, legt auch der wichtigste Grund dafür, dass die neuen Kriege so billig sind und darum so leicht zu beginen sind. Die "klassischen Staatenkriege" waren dadurch gekennzeichnet, dass es zwar zeitweilig informelle und parteill auch kriminelle Ökonomien, etwa Schwarzmärkte, gab, die jedoch mit der Normalisierung der Verhältnisse nach einem Krieg mit wachsendem Warenangebot und einer stabilen Währung wieder verschwanden. Während die "klassischen Staatenkriege" sich nicht mehr lohnen, weil die Gewaltanwendung für jeden der Beteiligten mehr kostet, als sie einbringt, sind die "neuen Kriege" für viele der Beteiligten (etwa Firmen, die am Krieg verdienen) so lukrativ, weil die Gewalt ihnen kurzfristig mehr einbringt als sie kostet - die langfristigen Kosten haben andere zu tragen.

Fazit: Der zwischenstaatliche Krieg sei heute ein historisches Auslaufmodell und dies könnte auch für das heutige Völkerrecht zutreffen, von dem die USA unter Bush junior sich schrittweise verabschiedeten. Territorial gebundene Staatlichkeit hat, wie schwach sie auch immer sein mag, den Effekt, dass die Verletzung zwischenstaatlicher Regeln und internationalen Rechts sanktionierbar ist. Netzwerkorganisationen wie Al Qaida jedoch sind mit den üblichen Sanktionen nicht zu treffen, und selbst Militärschläge können ein solches Netzwerk nicht zerreißen oder seine Funktionsfähigkeit nachhaltig beeinträchtigen. Die Strategie der Terrorismusbekämpfung kann daher nur ein, durch Wiederherstellung stabiler Staatlichkeit die Verwurzelungsmöglichkeiten für terroristische Netzwerke systematisch zu minimieren und auf diese Weise die Existenz- und Operationsbedingungen von Terroristen zu beschränken.

Dies sind - kurzgefasst - die Hauptthesen des Buches. Natürlich können hier bestimmte Thesen nur stichwortartig angerissen werden. Der "Fundamentalismus des Terrors", wie es der frühere Berater der britschen Premierministerin Thatcher, Grey, formuliert hat, wird hier lediglich gestreift. Terrorismus ist sicherlich auch die Reaktion von Ängsten - besonders im arabischen Raum, durch die Globalisierung die eigene Identität zu verlieren. Hierauf machte kürzlich - zu recht - die Wochenzeitung: "Die Zeit" aufmerksam. Münkler konzentriert sich zu sehr auf militärische und ökonomische Aspekte der "neuen Kriege", die gesellschaftlichen und sozialen Ursachen - die Münkler zwar auch als Kriegsursachen anerkennt, in seiner Analyse jedoch nur streift, kommen mir in dieser 284-Seiten-Abhandlung etwas zu kurz.
Fazit
Insgesamt jedoch ein sehr wichtiges Buch, welches die Gefahren und sicherheitspolitischen Herausforderungen, die durch die "neuen Kriege" entstehen, erschreckend ins allgemeine Bewußtsein rückt. Dies ist das Verdienst des Autors. Daher vergebe ich 9 Punkte.
8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne
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Vorgeschlagen von Bernhard Nowak [Profil]
veröffentlicht am 28. Juni 2004

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