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Thorsten Nagelschmidt: Der Abfall der Herzen

Der Abfall der Herzen

von Thorsten Nagelschmidt
Verlag: S. Fischer [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Belletristik
ISBN-13 978-3-10-397347-1

Preis: 22,00 Euro bei Amazon.de [Stand: 27. März 2024]
Wunderbar erzählter Lebens-Roman

Da ist der Schriftsteller. In der Gegenwart. Der einen Stoff "irgendwie" im Kopf hat und auch unter leichten Druck gerät, mal wieder was vorlegen zu müssen. Das Leben will ja finanziert sein. Dumm, wenn man dann merkt, dass der geplante Stoff einen wenig mitreißt und nicht recht funktioniert. Gut wiederum, wenn man aus einer bestimmten Periode seiner späten Jugend und jungen Erwachsenenjahre Tagebücher besitzt. Und diese, als Buch im Buch quasi, in einen Roman verwandeln kann. Hitzig wird, die Finger wie von selbst zunächst transkribieren, sich Erinnerungen formen.

An eine Zeit Ende der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts, als man Student nur wegen der Vorteile der Einschreibung war und nie eine Vorlesung besucht hatte. Als "die WG" das Zentrum des Lebens war, als "die eigene Band" Dreh- und Angelpunkt des Alltags ist. Als Alkohol und manch andere Substanz in Strömen floss. In dieser kleinen Stadt, die wenig Perspektive zu bieten hat, wo es schon ein Höhepunkt ist, in der Nachbarschaft in Quakenbrück mal in einer Halle als Band auftreten zu können. Wobei Auftritt zu viel gesagt ist. Was an den strömenden Substanzen liegt, aber, und das wird zum Zentrum der Erzählung, an der Trennung von der langjährigen Freundin. An der Eifersucht, die darauffolgt. Daran, wie einem der Boden unter den Füßen weggleitet von diesem "Abfall eines Herzens", das einem doch innerlich die Welt bedeutet.

Wobei, und das ist klug gewählt als Titel, das ja nur ein "Herz" betrifft. Doch der Plural des Titels macht überaus Sinn. Denn nicht nur eine (verlorene) Liebesgeschichte erzählt Nagelschmidt durch die Augen seines, in der Gegenwart mittelalten und damals jungen Protagonisten, sondern auch die Änderungen, die durch Ort und Zeit selbst allmählich in den Raum treten. Denn auch "die WG" und "DIE Band" sind, der Leser ahnt es schon zu Beginn, eine Art Zeitblase, die keinen Bestand auf Dauer haben kann. Ausbildungen, Projekte, die Zukunft gestalten wollen, das wird nicht Wenigen im Buch widerfahren und aus den Grenzen der vertrauten Umgebung herausführen müssen. Herzen eben, die nicht im Bösen, aber doch voneinander abfallen, deren Wege sich trennen. Eine Trennung, auf die hin es sich entwickelt und die weitere Entwicklungen auslösen wird.

Die allesamt und allen das Buch belebenden Figuren von Nagelschmidt mit Sorgfalt und in wunderbar lesbarem Ton im Roman balanciert und verfolgt werden. Mit all den Peinlichkeiten des "Stalkens" der ehemaligen Freunden, der tränenreichen Verzweiflung, aber auch den kleinen, gelungenen Einblicken in die Essgewohnheiten der stolzen WG, Einblicke in überaus vertaubte, bürgerliche Kneipen, in denen ein "Cola-Rum" gerade noch hergestellt werden kann (neben dem "Herrengedeck") bis zur "Abschlepp-Disco". Gut, dass der Protagonist im Buch seine Meinung geändert hat. Denn zunächst sagt er entschieden:
Fazit
"Weil ich darüber nicht mehr schreiben will. Jugend und Kleinstadt, Musik, Gewalt, Liebeskummer. Dieser ewige Gonzoporn".

Denn heraus kommt ein lebendiges, unterhaltsames, Erinnerungen auslösendes Werk über das Jung sein, die Trennungen des Lebens und das sich zurecht finden müssen in einer dann anderen, der "erwachsenen" Welt, ohne diese Jugend wirklich aus sich heraus verbannen zu können.
9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne

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Vorgeschlagen von Lesefreund [Profil]
veröffentlicht am 01. März 2018

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