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Christos Tsiolkas: Nur eine Ohrfeige

Nur eine Ohrfeige

von Christos Tsiolkas
Verlag: Klett-Cotta Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Belletristik
ISBN-13 978-3-608-93902-6

Preis: 3,80 Euro bei Amazon.de [Stand: 27. März 2024]
Hinter den Fassaden

"Immer, wenn er seinen Willen nicht bekommt, führt er sich auf, wie ein Kind", denkt Aisha irgendwann über ihren Mann Hector. Im ersten Urlaub ohne Kinder seit langem. Mit äußerst wechselhaften inneren Stimmungen.

Die im Übrigen auch alle anderen Personen des Buches eigen sind. So wie Rosie, eine von Aishas besten Freundinnen, Frau von Gary, Mutter von Hugo. Mit Verdruss schaut sie auf ihren oft stark angetrunkenen Mann, schwankt durch ihr Leben, saugt und hält sich am dreijährigen Hugo fest (wörtlich allerdings saugt Hector, der immer noch gestillt wird!). "Sie war ein Flittchen. Seit ihr Vater sie verlassen hat und sie das Haus verloren hatten", das ist Rosies wahre Meinung über sich selbst und das nicht ganz zu unrecht bei ihrer bettendurchstreifenden Vergangenheit.

Doch zunächst steht Hector, der dreijährige, der verwöhnte, nicht erzogene, im Mittelpunkt. Auf einer Gartenparty unter Freunden erhält dieser Hugo eine schallende Ohrfeige. Von Harry, dem Cousin Hectors, des Mannes der besten Freundin Aisha, dem als Grieche Familie über alles geht. Zu Recht, meinen die einen. Welch Skandal, meinen die anderen. Eine Zerreißprobe beginnt, denn Rosie dringt darauf, Harry wegen Misshandlung anzuzeigen und sie lässt es bis zum Prozess kommen. Mit Folgen. Für alle.

Folgen allerdings, die noch nicht einmal unbedingt in dieser Ohrfeige ihre wahren Ursachen haben. Denn alle diese Menschen der australischen Mittelschicht im Buch (mal mit weniger, mal mit deutlich mehr materiellem Einkommen versehen), eint eines. Eine unterschwellige, ständig leicht unter der Oberfläche zu spürende Gewalt. Aggression. Gespeist aus einer tiefen Frustration des Lebens, ohne diese ganz genau benennen zu können. Zunächst. Und aus einer Selbstfixiertheit, die umfassende Formen im Lauf des Lebens eingenommen hat.

In ruhiger Erzählweise, gründlich und mit einem sehr präzisen Blick für die vielfachen Schichten der Persönlichkeit, zieht Christos Tsiolkas die schützenden Selbstdarstellungen seiner Protagonisten fort und führt den Leser Schritt für Schritt in die inneren Universen seiner handelnden Personen. Aus verschiedenen Perspektiven jeweils geht Tsiolkas diesen Weg und spinnt dabei, eher am Rande, die Geschichte der Ohrfeige und die der eigentlichen Beziehungen der Personen untereinander fort. Personen, die schnell von einem Gefühl ins nächste fallen, von Begehren ins angewidert Sein (so wie Hector, der noch am Tag der Party seine jugendliche Geliebte voll Verlangen aufsucht und wenige Stunden später die Liaison genauso leicht beenden kann), von Verzweiflung in Aggression, von Verständnis zur Gefühlskälte. In allem zeigt sich, einen wirklicht tragfähigen Grund, eine Sicherheit zu sich selbst, das haben all diese Personen nicht.

Damit gelingt Tsiolkas in einfacher, moderner Sprache (ohne sich je umgangssprachlich zu verirren) ein Portrait der Gegenwart, das in den Sog zieht und.
Die ständige Suche nach dem "Außen", nach einem Halt, verbindet die Personen des Buches mit einer ganzen Lebensart, die letztlich unruhig immer zurücklässt. Hector, der alles hat und doch die Finger von jungen Frauen nicht lassen kann. Aisha, seine Frau, die sich aufgerieben sieht zwischen ihrer Freundschaft mit Rosie und der Loyalität zur Familie ihres Mannes. Harry, mittlerweile wohlhabender Mechaniker und ständig kurz vor der Explosion. Anouk, die Medienfrau, zweite beste Freundin von Aisha und Rosie, die ihre ganz eigenen Probleme ständig von sich wegschiebt.
Und die anderen, die Tsiolkas Kapitelweise je zu Wort kommen lässt und in dieser Form ein dichtes Netz von Emotionen, Eindrücken, vom Leben spinnt, denen seine Protagonisten nicht entrinnen können. Von denen in der Regel sowieso jeder und jede nur sich selbst und sein je vorhandenes "Gefühls-Innenleben" vor Augen hat.
Fazit
Acht Perspektiven sind es, die Tsiolkas nacheinander verfolgt und in denen er nicht nur sprachlich ganz hervorragend ein Abbild hoch individualisierter Lebenshaltungen und je ganz eigener Familienwerte vor Augen führt, sondern hält der gesamten "nur" individuell ausgerichteten Lebensweise, die alleine die eigene Befindlichkeit je in den Mittelpunkt zu stellen vermag, einen ungeschminkten Spiegel vor Augen, der nicht unberührt lässt. Ein hervorragendes Buch.
8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne

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Vorgeschlagen von Lesefreund [Profil]
veröffentlicht am 23. März 2012

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