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Aleksander Melli: Das Inselexperiment

Das Inselexperiment

von Aleksander Melli
Verlag: Rowohlt Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Kinderbuch
ISBN-13 978-3-499-21509-4

Preis: 14,95 Euro bei Amazon.de [Stand: 26. April 2024]
Max ist ein Nerd, ein ziemlich nerdiger Nerd; denn er interessiert sich für Nachrichten aus aller Welt. Der 12-jährige norwegische Schüler hat nicht nur besonders früh Lesen gelernt, sondern beschäftigt sich in der Zeitung und im Internet geradezu süchtig mit den Tagesereignissen. Die kryptisch formulierte Postwurfsendung mit kleinem weißen K auf grünem Grund ist für Max und seinen Freund Egil der Beginn eines ungewöhnlichen Erlebnisses. Zwanzig coole, charismatische Kinder zwischen 8 und 13 werden von einem norwegischen Fernsehsender gesucht, die für die Aufzeichnung einer Reality-Show eine persönliche Wahlkampagne entwickeln und gegeneinander um Mandate in einer Kinderregierung konkurrieren sollen. Mit gigantischem technischen Aufwand wird das Experiment auf der kleinen Insel Fernholmen im Oslo-Fjord stattfinden. Ein ganzes Sortiment an Beratern und Psychologen wird aufgeboten, um die Eltern der Kinder zu beruhigen. Zusätzlich erhält jede beteiligte Familie einen Touch-Screen-Schirm, auf dem die mit einem Sender versehenen Teilnehmer jederzeit geortet werden können.

Der Ort der Aufzeichnung wirkt wie eine Insel aus dem Bilderbuch, auf der jeder gern seine Sommerferien verbringen möchte. Auch das Projekt Kinderregierung klingt verführerisch; denn welches Kind hat nicht schon davon geträumt, Eltern und Lehrer zu entmachten und selbstständig über die eigenen Angelegenheiten zu entscheiden? Max, der der Meinung ist, dass es sowieso schon zuviel Unterhaltung gibt, scheint die ideale Besetzung für die Rolle des Medienkritikers in der ausgewählten Runde zu sein. Abgeschieden vom realen Leben müssen die Kinder nun von "der Uhr" über ihr Leben bestimmen lassen. Das Ding am Handgelenk erinnert an Termine, informiert, übermittelt den jeweiligen Standort und berechnet den aktuellen Stand der Lebenspunkte. 10 Punkte täglich sind schnell verbraucht; wer wegen schlechten Benehmens auf Null ist, wird nach Hause geschickt. Am dritten Tag haben schon zwei Kinder einen Punktestand von Null. Die Entscheidung über die Lebenspunkte fällt eine erwachsene Aufpasserin. Die Angelegenheit klingt nach Manipulation und Zensur; wer den Organisatoren unbequem wird, läst sich auf diese Weise bequem von der Insel verbannen. Dass Erwachsene auf der Insel die Regeln vorgeben und über Konsequenzen entscheiden, wird von den Teilnehmern nicht infrage gestellt. Wenn man sowieso jederzeit nach Hause geschickt werden kann, lohnt es sich, vorher schnell noch ein bisschen Randale zu machen, findet Lars und bringt damit die Schwachstelle der ganzen Aktion auf den Punkt. Per Mannschaftsbildung entstehen schnell eine seriöse und eine Spaß-Partei, eine Art Pizza-Connection. Boris der so gern provoziert, Ibrahim, der Muslim, die politisch engagierte Irene und Julie, die Umweltaktivistin und Vegetarierin treffen in einer Mischung aus Partyspielchen und ernsten Debatten über die Zukunft unserer Erde aufeinander. Doch schnell zeigt sich, dass das Insel-Experiment von Anfang an ein abgekartetes Spiel war.

Das Reality-Format in unterhaltsamer Form aufs Korn zu nehmen, bietet sich nach dem Erfolg der Tribute von Panem an. Das Insel-Experiment zieht seine Leser mit seiner bildhaften, humorvollen Sprache schnell in seinen Bann. Doch die gute Idee und die glaubwürdig gezeichneten Charaktere werden von einer für 12-jährige Leser viel zu abgehobenen, verwirrenden Handlung verdeckt. Die wichtige Frage, ob Kinder wirklich etwas ändern können und wie eine Gesellschaft Kindern mehr Einfluss einräumen kann, wird leider von oberflächlichen Show-Elementen verdeckt. Ich vermisse auf der Insel die alltäglichen Konflikte, die Kinder in einer Gemeinschaft sehr gut ohne Erwachsene lösen können. Kinder benötigen keine peinliche Kindergartentante eines Fernsehsenders, die Verhaltensnoten vergibt und entscheidet, wer weiter an der Sendung teilnehmen darf. Welches norwegische Kind braucht einen von Quallen bereinigten Strand und einen Rettungsschwimmer zur Aufsicht? Wie glaubwürdig wäre eine Kinderregierung, die solch banale Fragen des Alltags nicht allein regeln kann? Das Potential seiner unterschiedlichen Figuren und der Gruppendynamik der Insel-Situation schöpft Melli kaum aus. Wenn schon Max die Mechanismen des infantilen Reality-Formats mit seinen künstlich erzeugten Konflikten nicht erkennt und die wirtschaftlichen Interessen des Veranstalters nicht analysiert, dann doch hoffentlich eines der anderen Kinder.
Fazit
Für die Altersgruppe der Zwölfjährigen, an die sich das Buch wendet, wird im Inselexperiment zuviel geredet und zu wenig gehandelt. Die pfiffigen Ideen und die bildreiche Sprache des Autors kommen in dem viel zu langen Text leider kaum zur Geltung.
5 Sterne5 Sterne5 Sterne5 Sterne5 Sterne5 Sterne5 Sterne5 Sterne5 Sterne5 Sterne

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Vorgeschlagen von Helga Buss [Profil]
veröffentlicht am 10. Juli 2010

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