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Adam Haslett: Hingabe

Hingabe

von Adam Haslett
Verlag: Rowohlt Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Belletristik
ISBN-13 978-3-499-25419-2

Preis: 12,00 Euro bei Amazon.de [Stand: 13. Oktober 2024]
Durch den Erfolg von Union Atlantic haben auch Adam Hasletts Kurzgeschichten wieder das Interesse deutscher Leser geweckt. - Für Das Gespenst der Liebe erhielt Haslett 2006 den PEN/Malamud-Award. - Haslettes Figuren sind grantige alte Leute (Frank Singer in: Für meinen Biografen, Owen in: Hingabe), Kinder (Giles und Samuel in: Vorahnung, die jugendliche Hauptfigur in: Der Ursprung der Verzweiflung) oder Homosexuelle (Hingabe, Wiedersehen). Einige Geschichten Hasletts zeigen, wie Menschen aus ihrer mühsam gewahrten Balance urplötzlich in die psychische Erkrankung kippen können (Der gute Doktor, Der Freiwillige, Kriegsende).

In "Vorahnung" erleben die Schüler Giles und Samuel wie ihr betagter Latein-Lehrer Jervins, Kriegesveteran des 1. Weltkriegs, von der Klasse fertig gemacht wird. Samuel weiß nicht, an wen er sich wenden soll, um Jervins zu helfen und er ahnt bereits, welch tragische Wendung Jervins Schicksal nehmen wird. Samuels Familie scheint sich lieber den Vorahnungen ihres Sohnes zu entziehen als Anteil am Schicksal des Lehrers zu nehmen.

Hingabe, die Titelgeschichte der deutschen Ausgabe von "You Are Not A Stranger Here", zeigt Bruder und Schwester, die nach dem frühen Tod der Mutter seit 25 Jahren wie ein altes Ehepaar zusammen leben. Owen hatte sich immer für seine Schwester Hillary verantwortlich gefühlt. Die beiden erwarten den Besuch Bens, Hillarys Jugendliebe, zu dem sie seit 15 Jahren keinen Kontakt mehr hatten. Eine Schachtel mit Briefen, die Ben damals an Hillary schrieb, deutet auf ein Geheimnis Owens hin und wirft beim Leser die Frage auf, zu welchen Mitteln ein Mensch aus Angst vor dem Alleinsein greifen darf. Hat Hillary ein Recht auf persönliches Glück oder muss sie aus Dankbarkeit lebenslang mit ihrem allein stehenden Bruder ausharren?

Bei Frank Singer, dem 73-jährigen selbstbewussten Inhaber ertragreicher Patentrechte ( "Für meinen Biografen"), ist man sich unsicher, ob man ihn hassen oder über ihn schmunzeln darf. Frank fühlt sich von aller Welt betrogen und unterschätzt. Zur Zeit können Frank alle anderen, besonders Ärzte und Psychiater, gestohlen bleiben. Bei seinen Kindern hat er sich seit Jahren nicht sehen lassen, so dass die Reaktion auf seine offizielle Abschiedstournee in der Familie auf wenig Begeisterung trifft. Frank hat eine bemerkenswerte Art immer anderen die Schuld zuzuschieben und nur seine Sicht der Dinge gelten zu lassen. Erstaunlich, wie stark sich ein einzelner alter Mann daneben benehmen kann.

Der gute Doktor in der gleichnamigen Geschichte ist ein Psychiater einer Klinik mitten in der amerikanischen Prärie. Frank fühlt, dass er dort in der Provinz beruflich festsitzt, und begibt sich auf die 2½ Stunden dauernde Fahrt zu einer Patientin, mit der er bisher nur telefonischen Kontakt hatte. Daran, dass eine psychisch Kranke mit Rezepten, die ihr die Klinik zuschickt, angemessen zu behandeln ist, hat nicht nur Frank erhebliche Zweifel, auch der Leser wundert sich. Je weiter Frank in das Schicksal der Mrs. Buckholdt eindringt, desto kälter wird dem Leser der Geschichte. Gegen Mrs. Buckholdts schreckliche Erlebnisse werden bunte Pillen kaum helfen können.

In "Kriegsende" folgen wir einem jungen amerikanischen Paar auf seiner Reise nach Schottland. Ellen will in der Bibliothek von St. Andrews recherchieren. Ihr Mann Paul hat aufgrund seiner Depressionen und einer ganze Reihe von Ängsten schon länger nicht mehr gearbeitet, so dass die Verantwortung für den Lebensunterhalt bei der jungen Wissenschaftlerin liegt. "Es war nicht zu erwarten, das man je ganz verstanden wird" ist Pauls Fazit zu seiner Situation. Paul verweigert ärztliche Behandlung, er befindet sich in einem Zustand, in dem alle Worte aufgebraucht sind.

Auch Dani in "Was meines Vaters ist" scheint ein Fall für den Psychiater zu sein. Dani leidet wie sein Vater an manischer Depression, wirkt rhetorisch versiert und zugleich völlig verdreht. Wenn Dani sich ärztlicher Behandlung entzieht, ist zu befürchten, dass sich Vater und Sohn in ihrer bipolaren Störung gegenseitig hochschaukeln werden.

Der Schüler Ted besucht in "Der Freiwillige" als ehrenamtlicher Betreuer die alternde Elisabeth in einem Heim für betreutes Wohnen. Wegen einer "leichten Instabilität" hat sich Elisabeths Familie schon vor 20 Jahren ihrer entledigt und sie hier abgestellt. Elisabeth hört Stimmen und hat enge Kontakte zu Hester, einer Frau aus dem 17. Jahrhundert. Die kindlich und unselbstständig wirkende Elisabeth hat das Heim seit damals offenbar nicht mehr verlassen. Für sie scheint die Zeit seit ihrer Kindheit stehen geblieben zu sein. Ted erhofft sich von Elisabeth einen Rat, wie er das Interesse des Mädchens Laura wecken kann. Ted nimmt Elisabeth nur als alt und als nicht weiter gestört wahr. Der gemeinsame Einkaufsbummel der beiden lässt die Situation ins Groteske kippen. Das Ereignis zeigt, wie ernst Elizabeths Schizophrenie zu nehmen ist, aber auch wie gut ihr der Kontakt zu Ted tut.
Fazit
Hasletts Geschichten entlarven die Brüchigkeit von Normalität, decken lange gehütete Familiengeheimnisse und Unausgesprochenes auf. Die inhaltlich unveränderte Neuausgabe hat einen neuen Titel und endlich einen treffenden Klappentext erhalten, der die altmodisch wirkende Goldmann-Ausgabe aus dem Jahr 2003 in eine Sammlung erstklassiger zeitloser Kurzgeschichten verwandelt.
9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne
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Vorgeschlagen von Helga Buss [Profil]
veröffentlicht am 03. Juni 2010

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