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Jaroslav Rudis: Nationalstraße

Nationalstraße

von Jaroslav Rudis
Verlag: Luchterhand Literaturverlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Belletristik
ISBN-13 978-3-630-87442-5

Preis: 15,00 Euro bei Amazon.de [Stand: 28. März 2024]
Vandam, die Hauptfigur des Romans kann man mit gutem Recht als einen Anti-Helden bezeichnen. Er verbringt seine Abende am liebsten in seiner Stammkneipe, der "Severka". Dort prügelt er sich häufig, vor allem mit neuen Gästen. Er wohnt in einer Hochhaussiedlung am Rande Prags, in der früheren Wohnung seiner Eltern. Sein Vater hatte vor Jahren Selbstmord gemacht und seine Mutter ist verschollen. Eine Freundin hat Vandam nicht, aber er verehrt Sylvia, die Besitzerin der Severka, auf eine etwas ungeschickte und wenig einfühlsame Art. Vandam ist der Meinung, das Leben zu kennen und zu wissen "wo es längs geht". Besonders die Politik glaubt er zu durchschauen: "Ich kann Dir sagen, wie das Leben läuft. Politik ist nur ein Spiel, wo im Hintergrund Schatten an Strippen ziehen. Bonzen, die für teures Geld Kennzeichen mit 1111 und 6666 an ihre Wagen schrauben lassen. Diese Schatten entscheiden alles, nicht die Politiker. Das ist schon immer so gewesen."

Vandams Weltsicht ist pessimistisch: "Frieden ist nur eine Pause zwischen zwei Kriegen." Teile von Vandams Gedanken sind nahe am Rechtsextremismus: "Heil Europa. Wir sind Europäer. Neger raus… Penner raus… Zigos raus… Ausländer raus…". Doch am Ende fordert Vandam: "Tschechen raus. Alle raus". Tschechischer Humor? Vandam ist eher ein Verlierer der politischen und wirtschaftlichen Wende als ein überzeugter Rechtsextremist. Seine Meinungen und Thesen stehen für einen nicht kleinen Teil der Gesellschaft, der vom neuen System und der Marktwirtschaft enttäuscht ist. Seine Freunde glauben, dass Vandam bei den Demonstrationen gegen die Kommunisten auf der Prager Nationalstraße in vorderster Front gestanden hat. Allerdings redet Vandam darüber nicht gerne, da seine Rolle eine ganz andere war als seine Freunde glauben….

Das Buch ist überwiegend im Monolog gehalten, den Vandam an seinen Sohn richtet, der nicht bei ihm lebt. Die Sprache ist umgangssprachlich. Es gibt oftmals Wiederholungen, doch dadurch hat der Roman einen ganz eigenen interessanten Rhythmus. Der Leser erfährt im Buch mehr über das Leben vieler einfacher Tschechen als in irgendwelchen soziologischen Abhandlungen. Rudis beschönigt nichts. Im Nachwort erklärt er seine Motivation für diesen Roman: "Ich wollte ein Buch schreiben über den tschechischen Humor…. Über die politische Kultur nach der Wende. Ich wollte ein Buch schreiben über uns Tschechen, die wir unter uns leben und große Angst vor dem Fremden und den Fremden haben."
Fazit
Der Roman ist ein lesenswertes Psychogramm der tschechischen Gesellschaft. Die Enttäuschung vieler Menschen über die Nachwendezeit gilt in ähnlicher Form aber für ganz Osteuropa und nicht zuletzt auch Ostdeutschland. Vandam ist eine Person, die einen mit ihrer Rohheit abstößt und an der man aber andererseits auch sympathische Züge und eine fast brutale Ehrlichkeit findet.
9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne

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Vorgeschlagen von Mathias Hofen [Profil]
veröffentlicht am 25. Februar 2022

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