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Christoph von Marschall: Wir verstehen die Welt nicht mehr

Wir verstehen die Welt nicht mehr

von Christoph von Marschall
Verlag: Verlag Herder [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Sachbuch
ISBN-13 978-3-451-38074-7

Preis: 3,00 Euro bei Amazon.de [Stand: 17. April 2024]
Für einen Wandel in den Köpfen (nicht nur den politischen)

Als promovierter Historiker und Journalist im Hauptberuf verbindet Christoph von Marschall in seinem neuen Werk fundiert zentrale politische Themen der Gegenwart Deutschlands in Bezug auf seine Rolle in Europa in der Welt mit einem höchst lesbaren, flüssigen Stil. Mit vielen griffigen Formulierungen und immer klar auf den Punkt kommend, mahnt von Marschall eindringlich an, die faktisch gewichtige Rolle Deutschlands in der Welt auch verantwortlich und damit ein stückweit federführend gegenüber den "Freunden" anzunehmen. Was schon damit beginnt, sich anders als nur reaktiv oder auf schnelle Antworten auf irritierende Äußerungen zu geben mit der Verbindung zu den USA auseinanderzusetzen und dies, natürlich, möglichst breit auch im Verbund der anderen Nationen zu gestalten. Die Wertegemeinschaft des Westens als "normatives Projekt" nicht nur verbal zu bekunden, sondern auch tatkräftig sich einzubringen. Was, wie von Marschall aufführt, aktuell nicht unbedingt in gegebenem Umfang der Fall ist und ein politisches Umdenken erforderlich macht.

"Kann Deutschland ein Sonderfall bleiben, für dessen Rolle in der Welt andere Regeln gelten als für andere große EU Staaten?" - und die Frage schließt sich an, ob es reicht, in Deutschland den nationalen und europäischen Status quo zu pflegen, das Erreichte zu bewahren und intensiven Veränderungen gegenüber sich wenig aufgeschlossen zu zeigen. Beides verneint von Marschall massiv und öffnet damit den Blick für die Vorschläge, die er in den einzelnen Kapiteln als notwendige Veränderungen vor Augen führt.

Gerade weil, und das erläutert von Marschall überzeugend, die Verbündeten mehr und mehr auch ungeduldig erwarten, dass Deutschland sich "normalisiert", sprich seiner faktischen politischen und wirtschaftlichen Bedeutung auch eine entsprechende politische Rolle korrespondieren lässt. Nicht alles ist immer nur mit Geld in Form von Zahlungen zu lösen, sondern bedarf ebenso der Bereitschaft, Veränderungen aktiv auf den Weg zu bringen und, ein stückweit, darin auch vorweg zu gehen. Eine außenpolitische Führungsrolle und ein Anspruch, sich aktiv zu beteiligen.

"Die Minister und Fachleute aus anderen Ländern wünschen unter anderem, Deutschland solle Europa führen, die EU revitalisieren (klare Vorschläge aus Frankreich liegen vor), die Spannungen zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden überbrücken" - Momente, für die es zwar auch, aber nicht nur, finanzieller Aufwendungen bedarf, die aber vor allem den Willen zur politischen Führung und Verantwortung außenpolitisch erfordert.

"Deutschland ist ein bisschen zu groß und wirtschaftlich zu stark, als dass wir die Weltpolitik nur von der Seitenlinie aus kommentieren könnten" - warum sich Deutschland mit einer solchen Rolle schwertut, wo diese gar "geflohen" wird und was sich verändern müsste, um dem faktischen Einfluss Deutschlands auch bewusst und offen gerecht zu werden, das alles legt von Marschall Punkt für Punkt vor.

Sicherheitspolitik, eine zögernde Gesellschaft, die mit der Wahrung von sozialen Errungenschaften in der Gegenwart auf Sichtweite mehr beschäftigt ist, als mit der Wahrung der westlichen Werte-Idee auf Zukunft hin gesehen, die Dringlichkeit von aktiv gestalteten Regeln für den Handel in der modernen Welt und das Digitale, die feste Verpflichtung zu Europa, der Umgang mit den USA unter Trump, globale klare Haltungen, all das macht von Marschall als Schwachpunkte fast in der Mentalität aus, die in (noch leisen) Vorwürfen des "Drückebergers", einer gewissen "Ungeduld mit den Mustereuropäern" oder dem Vorwurf des "Trittbrettfahres" durch die USA einhergehen.

Und alles dreht und wendet sich, auch im Buch, um den Anspruch und eine gewisse Zögerlichkeit der gestaltenden politischen Kräfte, "dass wir für unsere Interessen eintreten müssen". Laut und teils auch fordernd. Denn "Sicherheit und Wohlstand" sind Errungenschaften, "für die man etwas tun muss", und keine Selbstverständlichkeiten, wie es immer noch die Haltung in Deutschland zu sein scheint.
Fazit
Ein kluges, aufrüttelndes, forderndes Werk, dass mit seinen Argumenten und differenzierten Betrachtungen überzeugt.
10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne

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Vorgeschlagen von Lesefreund [Profil]
veröffentlicht am 19. September 2018

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