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Wolfram Ellenberger: Zeit der Zauberer

Zeit der Zauberer

von Wolfram Ellenberger
Verlag: Klett-Cotta Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Philosophie
ISBN-13 978-3-608-94763-2

Preis: 25,00 Euro bei Amazon.de [Stand: 28. März 2024]
Die Frage nach dem, was der Mensch ist in einer Zeit "zwischen den Katastrophen"

Zehn Jahre und vier Philosophen. Jeder für sich, jeder ganz eigene, jeder mit seiner Herangehensweise. Und im Gesamten, in der Zusammenschau ergibt sich ein "Gegeneinander", dass nicht nur der konkreten Zeit Sprengstoff auch in der realen Welt zur Hand gab, sondern ganz grundsätzliches die Reibungen von (genialen) "Ideen" vor Augen führt. Eine Spurenverfolgung, die Ellenberger assoziativ und doch mit klarer Struktur angeht, die er dem Leser mit biographischen Hinführungen, mit zentralen Aspekten des Denkens, mit Kernthesen jener vier Männer nahebringt, die in bester Weise zumindest erläutern, was an diesen Gedankengebäuden so über die Zeit herausragend "weltbewegend" ist.

Martin Heidegger. Walter Benjamin. Ludwig Wittgenstein, Ernst Cassirer. Denker über alle Grenzen hinaus und privat Persönlichkeiten, die mit eigenen Dämonen, überraschenden Aktivitäten, verrückten Lieben zu tun, zu kämpfen, zu leben hatten. Und zum Glück stimmt am Ende der Lektüre nicht, womit Wittgenstein sein Rigorosum in Cambridge beendet: "Macht Euch nichts draus, ich weiß, ihr werdet das nie verstehen". (und das aus dem Mund eines Ex-Milliardärs, der zuvor jahrelang "nur" Grundschüler unterrichtet hat)

Denn Ellenberger ist auch sprachlich in der Lage, die komplexe Gedankenwelt jedes der "Zauberer" dem Leser verständlich zu erläutern (wofür es allerdings eines gewissen Abstraktionsvermögens bedarf, denn den "festen Boden" verlassen alle vier Philosophen in ihren kühnen Gedanken das ein oder andere Mal durchaus. "Wie die Welt ist, ist für das Höhere vollkommen gleichgültig. Gott offenbart sich nicht in die Welt. Die Welt ist alles, was der Fall ist (Wittgenstein)).

Und auch gut ist, dass Ellenberger dem letzten Satz Wittgensteins in seinem Rigorosum wenig folgt: "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen". Denn man kann in Worte fassen. Und sich dann allerdings daran abarbeiten für lange Zeit, um auch nur den Hauch eines Verstehens zu erhaschen. Wobei Heidegger in Wesen und Person an anderem Orte zur fast gleichen Zeit anders auftritt. Eben auf "Auftritt" ausgerichtet. Sein "Erobern des Gipfels" strategisch geplant, nichts dem Zufall überlassen wollen. Ein Wille zur Macht und sozialen Dominanz, die im Werk abfärbt und Leben und Werk miteinander mischt. Was Ellenberger differenziert dazustellen vermag.

Wie auch Cassirer und Walter Benjamin dem Leser auch "privat" eng vertraut im Lauf der Lektüre werden und Ellenberger es versteht, Person und Gedanken, Lebensstil und Wirken, Motivationen und Schwächen umfassend darzustellen. Wobei sicherlich am Ende im Vordergrund steht, dass, bei aller "Höhe" der Gedanken, die vier Philosophen eben doch konkret zeitgebunden für eine Ära der vertanen humanistischen Chancen steht, für ein Auseinanderdividieren, dass eine junge Demokratie scheitern lässt und die politischen Spaltungen nicht zu vereinen versteht.

Weil eben der eine fest darauf beharrt, das "Höhere" gedanklich zu erfassen (was auch politische Strömung werden wird), der andere fest darin steht, dass eben nichts allgemeingültig ausgesagt werden kann. Oder eben "ganz neu gedacht" werden muss und dafür das alte "aus dem Weg geräumt" gehört. Oder vielleicht doch die menschliche Gesellschaft sich selbst als Gesamtheit mal ausführlich "besinnen" solle. Und vielleicht haben alle, je aus ihrer Sicht, recht? Zumindest wird klar, dass Ideengebäude, die in sich geschlossen wirken, nicht der Weisheit letzter Schluss sind, solange andere Ideengebäude in gleicher Festigkeit und ins ich geschlossen als Gegenentwurf im Raume stehen. Jeder auf seine Weise mit messbarer, klarer Wirkung, die zum Zerreißen der Welt an sich am Ende führt oder, besser ausgedrückt, jenen Kräfte, die zum Zerreißen führten, je polig eine je geniale Stimme verlieh.
Fazit
Sehr lesenswert als historische Schau, aber auch als Verweisung auf das Grundproblem von in sich geschlossenen Überzeugungen, die auch in der Gegenwart wieder teils unversöhnlich aufeinanderprallen.
10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne

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Vorgeschlagen von Lesefreund [Profil]
veröffentlicht am 02. Mai 2018

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