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Timur Vermes: Er ist wieder da

Er ist wieder da

von Timur Vermes
Verlag: Eichborn Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Belletristik
ISBN-13 978-3-8479-0517-2

Preis: 17,95 Euro bei Amazon.de [Stand: 29. März 2024]
So, ich habe das Buch jetzt über Ostern komplett durchgelesen, um mir ein eigenes Urteil zu bilden. Der Inhalt ist bekannt: Hitler erwacht im Sommer des Jahres 2011 in Berlin, findet sich dort zunächst in der "schönen neuen Welt" nicht zurecht, macht aber dann Karriere beim Fernsehen. Der kürzlich verstorbene bayerische Schriftsteller Herbert Rosendorfer hatte vor 30 Jahren einen Mandarin aus dem 10. Jahrhundert per Zeitmaschine in das heutige München versetzt und dies zum Anlass genommen, Deutschland aus der Perspektive des Jahres 1983 "aufs Korn zu nehmen".

Genau dies tut auch Timur Vermes in seinem Buch. Auch er nimmt eine Figur - hier die von Hitler - um die Zustände im Deutschland des Jahres 2012 "auf Korn zu nehmen." Passagen aus "Mein Kampf" dienten Vermes zur Vorlage, um seinen Hitler erschreckend realistisch in seinem Wahn zu zeichnen. Dies ist Vermes zwar gelungen, was die politischen Aussagen Hitlers betrifft. Das verbohrte rassistische Gedankengut des Diktators, seine wahnwitzige "Weltanschauung" kommen in diesem Buch durchaus gekonnt herüber.

Aber dennoch überzeugt das Buch - im Gegensatz zu Rosendorfers Werk - mich ganz und gar nicht. Warum? Hitler war humorlos, exaltiert, intolerant und - in den Worten von Sebastian Haffner - ein "grausamer Herrscher", der mindestens sechs Millionen Juden ermorden ließ. Immer "recht" haben, nie nachgeben, war seine Devise. "Mein ganzes Leben war Überreden" sagte er 1942 im Rückblick auf seinen Aufstieg und seine Versuche, über den damaligen Staatssekretär Meißner im Präsidialamt an Reichspräsident von Hindenburg heranzukommen und diesen zu "überzeugen", ihm, Hitler, die Macht zu übertragen. Mit Verstellung, List, Demagogie und Überredungskunst gelang es Hitler schließlich, das Vertrauen des Präsidenten zu erlangen und 1933 mit der Regierungsbildung beauftragt zu werden. Dabei half ihm, dass er von seiner Idee oder seinem Wahn so überzeugt war, dass es ihm gelang, einen Großteil der Bevölkerung zu täuschen und letztlich auch den Reichspräsidenten - anfangs skeptisch - dazu zu bringen, ihm die Macht anzuvertrauen.

In der heutigen Zeit wäre dies aber nicht möglich. Aufgrund der Informiertheit der Bevölkerung, der politischen Aufklärung, unserer politischen Kultur, geprägt durch die Schrecken des sogenannten "Dritten Reiches", hätte ein solcher Demagoge keine Chance. Hitlers Charaktereigenschaften - vor allem seine Unfähigkeit, Kompromisse einzugehen, sein "Mangel" an "Geschmeidigkeit" und "Diplomatie" würden es meines Erachtens einem Wieder- oder Doppelgänger kaum erlauben, mit Hitlers Parolen Erfolg zu haben.

Dies weiß auch Vermes. Und was tut er. Er erschafft eine Figur, die charakterlich so gar kein "Hitler" ist. Der Vermes-Hitler erscheint geschmeidig, kompromissbereit, werbend. So wirbt er, um seine Sekretärin zu halten, bei deren Mutter, deren Familie in den KZs umgekommen war. Dies ist meines Erachtens nicht nur geschmacklos, es zeigt, was der Figur fehlt: charakterliche Authentizität. Dieser Hitler ist - im Gegensatz zu Rosendorfers Mandarin - nicht authentisch. Er kann es nicht sein, weil er eben in unserer Gegenwart aufgrund unserer politischen Geschichte erfolglos wäre. So "real" der "politische Hitler" gezeichnet ist, so sieht doch jeder: diese Figur "ist" nicht der wirkliche Hitler. Und daher hat auf mich dieses Buch keinen Reiz. Rosendorfers Mandarin wirkt authentisch, sein Staunen über die reale Welt im Jahre 1983 wirkt "authentisch", "echt", Vermes Hitler nicht. Ich hatte das Gefühl, Vermes wollte eine Satire über das heutige Deutschland schreiben und suchte eine Figur, die die Leser "anziehen" würde, um seine politische Satire zu verkaufen. Er nahm Hitler. Dies ist legitim, aber eben ein Wagnis, wenn dieser Hitler "nicht echt", nicht "authentisch" ist.

Natürlich gibt es Szenen, die durchaus gelungen sind - und dass der reale "Hitler" gegen Ende des Buches von Neo-Nazis zusammengeschlagen wird, weil sie sich mit ihrer Ideologie vom Vermes-Hitler "auf den Arm genommen" fühlen - ist natürlich ein Gag. Er zeigt aber - m.E. ungewollt - genau das Problem des Buches: Hitler kann nicht überzeugen, er ist nicht "echt" (was den Neo-Nazis hier sofort auffällt, während die anderen Personen an eine perfekte Imitation Hitlers durch einen perfekten Schauspieler glauben, aber eben auch nicht an einen "echten Wiedergänger"), denn sonst hätten sie dafür gesorgt, dass dieser Wiedergänger im Gefängnis landen würde); letztlich der Vermes-Hitler also niemanden von seiner Echtheit, seiner "Authentizität" überzeugen kann. Dies wäre aber notwendig, um der Satire von Timur Vermes wirkliche Überzeugungskraft zu verleihen. Dies gelingt meines Erachtens nicht. Und damit fällt aus meiner Sicht das ganze Buch. Ein netter Versuch - mehr aber auch nicht.
Fazit
Ich gehöre nicht zu denjenigen, die der Meinung sind, man dürfe mit Hitler keine Satire machen. Doch, dies darf man durchaus. Aber es ist schwer, denn Hitler ist so eindimensional bösartig in seinem Charakter, so humorlos, dass er schwer zur Satirefigur taugt, weil er eben - wenn man ihn dazu machen will - "unecht" wirkt. Aufgrund der eindemensionalen Charaktereigenschaften Hilters eine überzeugende Hitler-Nachahmung zu schaffen ist äußerst schwierig, vielleicht ist dies gar unmöglich. Zumindest hat mich Vermes Versuch nicht überzeugen können.

Das Hörbuch hingegen ist wirklich genial gelesen von Christoph Maria Herbst, der Hitlers Stimme wirklich beklemmend "echt" herüberbringt. Meine obige Rezension bezieht sich daher auf die Buchausgabe.
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Vorgeschlagen von Bernhard Nowak [Profil]
veröffentlicht am 03. April 2013

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