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Günter Sachse: Die Meuterei auf der Bounty

Die Meuterei auf der Bounty

von Günter Sachse
Verlag: C. Bertelsmann [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Jugendroman
ISBN-13 978-3-570-20008-7

Preis: 1,95 Euro bei Amazon.de [Stand: 18. April 2024]
Günter Sachses Abenteuerklassiker aus dem Jahre 1959: "Die Meuterei auf der Bounty" gehört nach wie vor bis heute zu meinen Lieblingsbüchern. Der Stoff ist 1935, 1962 und 1984 jeweils verfilmt worden. Literarische Quellen der Meuterei bieten die Schilderungen von Kapitän William Bligh: " "A narrative of the Mutiniy on board His Majesty`s Ship Bounty" aus dem Jahre 1790, das Tagebuch des Bootsmannsmaats James Morrison: "The Journal of James Morrisson, Boatswain`s Mate of teh Bounty" aus dem Jahre 1935 sowie J.N. Halls und C. Nordhoffs "Mutiny" aus dem Jahre 1933. Morrissons Buch wurde von Owen Rutter eingeleitet, der selber im Jahre 1936 mit seinem Werk: "The True Story of the Mutiny in the Bounty" das Geschehen auf der Bounty anhand der historischen Quellen kritisch kommentiert hat. Außerdem liegt eine Bligh-Biographie von George Mackaness vor, der laut Sachse das "wohl umfassendste Bild des gesamten Komplexes" im Jahre 1952geschildert hat.

Auf alle diese Berichte kann sich Sachse stützen. Das spannend zu lesende Buch, welches ich anlässlich der Verfilmung mit Trevor Howard und Marlon Brando, die auf der Schilderung Halls beruhen, jetzt erneut gelesen habe, zeichnet sich durch ein differenziertes Bild aus. "Mehr als ein Jahrhundert lang haben die zahlreichen Darstellungen dieses Südseedramas Bligh als den brutalen Tyrannen gezeichnet und in [seinem Gegenspieler, dem Offizier Fletcher; B.N.] Christian - entsprechend der sehr freien dichterischen Verherrlichung durch Lord Byron - den romantischen Helden gesehen. Die Wirklichkeit ist anders. Sie begnügt sich nicht mit einfachem Schwarzweißgegensatz. Die Quellen sprechen nicht für solche romantische Verklärung."

Dass Sachse sich bemüht, beiden Protagonisten, dem fähigen und tüchtigen Kapitän William Bligh, der allerdings in seinem Jähzorn jegliches Maß verlor und die Kunst der heutigen "Menschenführung" überhaupt nicht beherrschte, und seinem Gegenspieler, dem eher feinfühligen und sensiblen Fletcher Christian, der die Demütigungen des Kapitäns nicht mehr aushielt und schließlich einfach in Verzweiflung mit der Meuterei eine Kurzschlußreaktion beging, an deren Folgen - und seiner Schuld - er ein Leben lang leiden sollte, ist die Stärke dieses Buches.

Es schildert packend eine Fahrt, die hoffnungsvoll im Dezember 1787 begonnen hatte, um kostbare Brotfruchtpflanzen für Westindien aus Tahiti gegen von den dortigen Eingeborenen begehrte Gegenstände einzutauschen. Das Buch besteht aus zwei Teilen. In seinem ersten Teil schildert es die Fahrt der Bounty bis zur Meuterei vor Tofua in der Nacht zum 28. April 1789. Dort wurde Kapitän Bligh mit 18 Getreuen in einer kleinen Barkasse ausgesetzt. Der zweite Tel des Buches schildert sowohl den Überlebenskampf des Kapitäns Bligh, dem es in sechs Wochen gelingt, 3600 Seemeilen von Tofua über die Fidschi Inseln, die neuen Hebriden, an der Ostküste Australiens die Torres-Strasse bis nach Timor zu kommen - und fast alle seine ihm anvertrauten Seeleute lebend dorthin zu bringen (eine bahnbrechende seemännische Leistung, die nicht genug gewürdigt werden kann) sowie das weitere - und sehr tragische - Schicksal der Meuterer, die unter Führung von Fletcher Christian schließlich ihr Ziel, Pitcairn, erreichten. In einem Epilog werden die Quellen und das weitere Schicksal der Beteiligten und der Nachkommen der Meuterer auf der Insel Pitcairn nachgezeichnet.

Was soll man sagen: ein bewegendes Buch, welches plausibel macht, wie es zur Katastrophe kommen konnte. Es scheut sich nicht, Partei zu ergreifen. Es beschreibt schonungslos das Regiment des Kapitäns, aber auch dessen Sichtweisen und Motive. Heraus kommt das Bild eines Mannes, der auf der einen Seite weitsichtig handeln konnte, ein guter Navigator und Seemann war und durchaus fürsorgliche Maßnahmen für das Überleben seiner Mannschaft ergriff (Kürbis und Sauerkrautportionen gegen Skorbut, Einführung eines Dreischicht- anstelle des bislang geltenden Zweischicht-Wachsystems, welches den Untergebenen einen 8-Stunden-Schlaf ermöglichte, wo sie sich besser von den Strapazen des anstrengenden Alltags auf dem Schiff ausruhen konnten), auf der anderen Seite aber unglaublich engherzig sein konnte. Vor allem schaffte er es nicht, die Zuneigung seiner Leute zu erwerben; oft kanzelte er Untergebene vor Zeugen ab, so dass diese ihr Gesicht verloren. Daran war sein impulsiver Jähzorn schuld, der dazu führte, dass er sich oft in einer Verfassung befand, in der sein Denken nicht mehr funktionierte. Nach einem Käsediebstahl verdächtigt er pauschal die gesamte Mannschaft, obwohl ganz offensichtlich der gestohlene Käse von seinem Schreiber in sein Haus in Detford gebracht wurde. Er beschimpfte - vor allem nach Tahiti - Offiziere als Diebe und Gauner. Zur wachsenden Spannung an Bord trugen insbesondere drei Ereignisse bei, die in dem Buch genügend Raum finden: zum einen starb der einzige Mann an Bord, dem sich Kapitän Bligh nicht überlegen fühlte: der alte Schiffsarzt Huggan, der einzige, der Bligh mit "Mr." und nicht mit "Sir" anreden durfte und der ihn nach einer scharfen Auseinandersetzung dazu brachte, nicht die Route über das vermeintlich schnellere, aber durch seine starken Stürme gefährlichere Kap Hoorn, also um Feuerland herum, zu wählen, sondern die längere Route über das Kap der Guten Hoffnung. Die Admiralität hatte in diesem Fall keine klare Anweisung über die zu verfolgende Route gegeben. Bezeichnend für Bligh: er folgte - trotz eines Wutanfalls - dem Rat des alten Schiffsarztes, der wie kein anderer Autorität in der Mannschaft besaß, eine Zuneigung für Fletcher Christian empfand und auf Tahiti starb. Seine letzten Worte vor seinem Tod an den Botaniker Nelson waren die, Nelson solle auf Christian aufpassen, damit er nichts Dummes anstelle: "Er hat die Gestalt des Apolll, aber das Herz eines Kindes. Es könnte sein, daß er daran zerbricht oder irgend etwas ganz Dummes anstellt." Eine korrekte Prophezeiung, wie sich herausstellen sollte.
Der zweite Faktor, der zur Meuterei zweifellos beitrug, war der lange Aufenthalt in Tahiti. Er dauerte von Oktober 1788 bis zum 01. April 1789. So lange dauerte es, die Brotfrüchte auf die Bounty zu verladen, das Schiff für die lange Rückfahrt zu präparieren und günstige Winde abzuwarten. Doch die traumhafte Insel hatte die Mannschaft so fasziniert, dass sie die Disziplin und das strenge Regiment des Kapitäns nach der Abreise kaum mehr ertrug.

Der auslösende Faktor, der zur Meuterei führte, war ein Streit um ein paar lumpige Kokosnüsse. In Namuka hatte der Kapitän eine große Menge Kokosnüsse an Bord genommen. Einen Teil davon hatter er an die Besatzung verkauft, der Rest, der als Proviant bestimmt war, lagerte in einem großen Haufen auf dem Achterdeck zwischen den Geschützen. Am Tag vor der Meuterei entdeckte der Kapitän, dass einige Nüsse fehlten und beschuldigte die Mannschaft, die Nüsse gestohlen zu haben. Er nahm sich jeden Offizier einzeln vor: alle mußten erklären, wie viele Nüsse sie erworben und mittlerweile verzehrt hatten. Dann kam die Reihe an Fletcher Christian, der bereits einige Tage vorher wegen eines anderen Zwischenfalls mit dem Kapitän aneinandergeraten war. Sachse beschreibt die entscheidende Szene: "Ich hab`s vergessen, Sir" antwortete er gereizt auf die Frage des Kapitäns. "Und ihc nehme nicht an, daß Sie mir unterstellen wollen, ich könnte Sie bestehlen!" Daraufhin verlor Bligh völlig die Beherrschung. "Jawohl, das will ich, du verdammter Hund! Du hast meine Kokosnüsse gestohlen!" Christian war leichenblaß geworden. DAs war nun sein Kapitän, zu dem er aufgesehen hatte, sein Vorbild! "Sir!", erwiderte er empört. "Womit habe ich das verdient?" Aber Bligh war von seinem unglückseligen Jähzorn bereits über alle Grenzen der Vernunft hinausgehoben. Er sprang auf Christain zu, hielt ihm die Faust unter die Nase und schrie mit Wutverzerrtem Gesicht: "Keine Widerrede!" Dann holte er tief Atem, warf einen Blick in die Runde der Offiziere und rief: "Der Teufel hol'Euch alle miteinander, ihr Gesindel! Ihr steckt ja doch nur mit den Leuten unter einer Decke, um mich zu bestehlen! Aber", seine Stimme schnappte über, "Aber ihr sollt mich kennenlernen! Wir sind noch nicht zu Haus! Eher geht die Hälfte von euch über Bord, als daß ich mir eure Schurkerei noch länger bieten lasse!" Daraufhin sperrte er der gesamten Mannschaftden Grog und reduzierte die bisherige Tagesration auf ein Drittel. Außerdem ließ er sämtliche Kokosnüsse an Bord, die die Besatzung gekauft hatte, beschlagnahmen und dem Proviant zuschlagen. "Bligh fühlte sich zu dieser Maßnahme vollauf berechtigt; denn auch er hatte sie gekauft: für je zwanzig Nüsse hatte er einen Nagel gegeben! Aber er sollte sehr bald einen wesentlich höheren Preis zahlen, nachträglich, für ein paar lumpige fehlende Kokosnüsse."

So kommt es zur Katastrophe. Der verzweifelte Fletcher Christian will heimlich in der Nacht das Boot verlassen. "Blieb er, so würde er über kurz oder lang in diese brüllende Fratze seines Peinigers hineinschlagen. Und was dann kam, wußte er: ein diensttugender Leutnant in Eisen, Kreigsgericht, Degradierung und -mindestens! - das Los des Sträflings. Vielleicht aber würde man ihn auch, da er noch nicht als Offizier bestätigt war und die Hand gegen seinen Kommandanten erhoben hatte, auf der Reede von Spithead unter den Augen der Besatzung aller vor Anker liegenden Schiffe zu Tode peitschen!" Also beschließt er, zu fliehen. Als er mit Hilfe des Matrosen Quintal, der von Bligh wegen eines Vergehens mit 24 Peitschenhieben, der sogenannten neunschwänzigen Katze, bestraft worden war, sein Floß zu Wasser lassen will, wird ein Hai gemeldet. Quintal und Churchill, der Waffenmeister, überreden Fletcher Christian daraufhin zur Meuterei, das Schicksal nimmt seinen Lauf.
Bligh, auf einer Barkasse ausgesetzt, schafft das Unmögliche: er erreicht England. Die Bounty segelt nach Tahiti. Dort bleiben einige der Meuterer, obwohl sie von Fletcher Christian eindringlich davor gewarnt werden, weil man sie dort am ehesten suchen würde, wenn Bligh England erreichen sollte. Es sind dann in der Tat diese Meuterer, die später gefasst und bestraft werden. Das Buch macht sehr deutlich, dass gerade diejenigen mit dem Tode bestraft wurden, die mit der Meuterei wenig zu tun hatten oder zwangsweise auf der Bounty zurückblieben, weil sie nicht mehr in die schon überfüllte Barkasse gelassen werden konnten. Der Rest der Meuterer floh nach Pitcairn, welches auf der Karte falsch eingezeichnet wurde. Doch alle traf ihr Schicksal; aufgrund von Problemen mit den dortigen Eingeborenen wurden fast alle ermordet - auch Fletcher Christian. Lediglich der Matrose Alexander Smith wurde unter dem Namen John Adams Lehrer der Nachkommen der Bounty-Meuterer. Die Insel Pitcairn - und damit Adams und seine "Gemeinde" -wurde 1808 von dem amerikanischen Kappitän Mayhew Folger entdeckt. Erst da erfuhr die Welt vom Schicksal der Meuterer auf der Bounty und dem Schicksal Fletcher Christians, der als verschollen galt. Doch Adams wurde weder von Folger, noch 1814 von dem britischen Kapitän Staines nach England ausgeliefert. Der "ehrwürdige alte Mann" erschien ihm als Patriarch der Inselfamilie ganz unentbehrlich. "Und wenn vor dem Gesetz auch noch ein Posten auf der Rechnung offenstand, so war hier eine weitaus größere menschliche Sühne geleistet worden. So störte nichts den Frieden der Insel. Aber es war ein Glück, daß die Kapitäne Staines und Pipon sich der menschlichen Aufgabe gewachsen zeigten, vor die der Zufall sie stellte."
Fazit
Die Meuterei auf der Bounty - ein bewegendes Drama un Schuld und Sühne, welches heute noch packt - und meines Erachtens gehört das vorliegende Buch bis heute zu den besten Beschreibungen der Meuterei auf der Bounty, weil sie packend und möglichst objektiv die menschliche Tragödie der Meuterei mit psychologischem Falkenblick aufzeigt. Ein sehr eindrucksvolles Werk, wie ich finde.
10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne

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Vorgeschlagen von Bernhard Nowak [Profil]
veröffentlicht am 20. Juni 2009

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