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Richard van de Sandt: Das Geheimnis des Feldweges. Sein und Raum

Das Geheimnis des Feldweges. Sein und Raum

von Richard van de Sandt
Verlag: Haag + Herchen Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Philosophie
ISBN-13 978-3-89846-354-6

Preis: 1,78 Euro bei Amazon.de [Stand: 18. April 2024]
Bei dem Philosophen Karl Jaspers auch bei Martin Heidegger ist das Wirken des Werkes Nietzsches unverkennbar. Bei Jaspers geschah die Inanspruchnahme der Schriften Nietzsches über den Begriff des Scheiterns und bei Heidegger über den des Nihilismus. Dieser Begriff bleibt bei Heidegger zentral, denn er versteht darunter den Nihilismus als Zeit der Seinsvergessenheit, in der sich das Sein vor der Tiefe und der Wahrheit verschließt. Den spürbaren Eintritt einer solchen Tendenz datierte Heidegger auf das Jahr 1945: Verwüstung, Niedertracht, Geringschätzung, totale Niederlage, Ende, Verlust und Selbstpreisgabe. Diese deutsche Niederlage war für Heidegger auch eine Weltniederlage jenseits von Schuld und Sühne gewesen, weil sie lediglich Konsequenz einer längst von ihm erkannten Entwicklung war, nämlich der totalen Entfesselung menschlicher Barbarei im Dienste des Willens zu planetarischer Macht über den Weg der Maßlosigkeit der Mittel.

Es liegt nun auf der Hand, daß Heideggers Ziel nach 1945 eine Rückkehr ins Heilsame, ins Vertraute war, in dem die Dinge wieder zu sich selbst zurückkehren können. Man kann auch sagen: Die Rettung des Phänomens der Tiefe und des Strebens nach Wahrheit und heimatlicher Unversehrtheit treten in das Denken dieser Zeit bei Heidegger ein. So versuche er z.B. die Gelassenheit des Meister Eckhardt bei den Kriegsgefangenen zu beschwören, weil das Abendland stets und immer wieder das Land der vielen Untergänge aber auch Aufgänge gewesen sei. Das zyklische Modell der "ewigen Wiederkehr" Nietzsches mit der Option eines fruchtbringenden neuen Werdens wird zentral.

Heideggers stilistisches Mittel ab 1945 ist in Anknüpfung an Platon der philosophische Dialog, weil Heidegger an der Universität nicht mehr den Ort des angemessenen Denkens seiner Zeit vorzufinden glaubt. Parallelen zu Platon werden offensichtlich, denn auch er bevorzugte den Dialog, um nicht zum "Krüppel in Bezug auf die Wahrhaftigkeit" (Platon, in: "Der Staat") zu werden. Allein das Gespräch in seinem Dualismus könne sich vorbehaltlos und frei in einem vorhandenen Wahrheitsgehalt bewegen. Die Phänomene möchte Heidegger betonen, weil mit ihnen das Seinsdenken, die Ontologie, am besten aufgeht und ideologische Blickverstellungen verschwinden. Vor diesem Hintergrund schreibt nun Heidegger seine Feldweggespräche, in denen er sich in die menschlichen Täler des Seins herab begibt, um den Nimbus der Heiligkeit des Meister Eckhardt und den immer noch schöpferischen Glauben an das Deutsche im Nachkriegsdeutschland neu zu revitalisieren. Das Leiden der Zivilbevölkerung und das Leiden Heideggers selbst angesichts einer solchen Aufgabe bezeichnen die Grundstimmung der Zeit. Der Feldweg, das Feldweggespräch werden zur zentralen Kategorie des Denkens und Schreibens.

In diesen Zusammenhang ließe sich auch das vorliegende Buch van de Sandts stellen: "Das Geheimnis des Feldweges", welches - nicht verwunderlich - an Heidegger anknüpft. Ahrweiler sei eine Weintraube. Brenden sei ein heimeliges Nest. Rom sei ein unergründliches Kunstwerk, innerhalb dessen man sich im Restaurant "I Quattro Mori" nahe des Petersdoms gebührlich niederlassen könne. Die Gedanken des Autors repräsentieren ein Experimentieren mit dem Versuch eines Ansatzes einer Feldweg-Theorie. Mit ihr versucht der Autor, das Wirken der universellen Evolution auch auf der Ebene des Menschen darzustellen: Jeder Einzelne geht seinen Feldweg! - Und es ließe sich fortsetzen: Er geht ihn so denkend und suchend, wie ihn Heidegger ging. - "Schaffe deine Seins-Sinfonie. Du kannst deinen Feldweg nicht verlieren." (17) Es scheint hier, als habe der Autor ähnlich wie Heidegger seinen Weg gefunden, ohne ihn jemals zu verlieren.

Bei allen Postulaten von Erklärbarkeit ist der Autor seines unternehmerischen Alltags wegen von einer tiefen Ehrfurcht vor den Mitmenschen, dem Umfeld und der Natur durchdrungen. Die Affinität des Autors zum "geistigen Auftrag" des Menschen und seiner Selbst-Werdung ist ein signifikanter privater Charakterzug, zeichnet aber zugleich den philosophisch interessierten Menschen an sich aus. Zugleich erschließt und präsentiert er mit diesem Werk eine autobiographisch-essayistische Trilogie, die vielen Menschen Orientierung, Hilfe und Hoffnung geben kann. Lediglich an einer Stelle scheinen dem Leser die Verlautbarungen des Autors etwas vermessen, nämlich dort, wo er meint: "Als Deutsche schulden wir all den Völkern ‚Dank, die unser Vaterland vom Nationalsozialismus befreit haben." (27) Der inflationär gebrauchte und damit schon nicht mehr ernst zu nehmende Duktus solcher Äußerungen gehört in die Zeit kurz nach 1945. Heute ist dergleichen nicht mehr sinnvoll, geschweige denn im Sinne Heideggers, dem es gerade um Selbstbewußtsein und das spezifisch Deutsche ging, nicht um eine - eben gerade durch eine über ideologische Blickverstellungen hervorgebrachte - universelle deutsche Schamträgerschaft, die zivilreligiösen Charakter annimmt und damit für philosophisch reflektierende Menschen keineswegs opportun ist.


Ein jeder beschreite seinen Feldweg auf sein eigenes Lebensziel zu, ohne es jemals vollkommen zu erreichen. Wie das Universum expandiert, so erstrahlt auch der winzige Beziehungs-Raum, wenn man ihn nicht verneint. Es ist vielfach der leere Raum, der die metaphysische Unruhe des Menschen in der Moderne erklärt. Die gegenwärtige Lebensweise sei von Beliebigkeit geprägt. Der Mensch, der zur weiteren Selbstverbesserung seiner Lage bestimmt ist, tue gut daran, so zu werden und so zu sein, wie es die innere moralische Integrität vorgibt. "Verzicht entbehrt nicht. Verzicht gibt! (35) Solche und weitere moralische Maximen sind für van de Sandt Lebensmaximen, ebenso wi: "Leistungsdruck generiert Leistungsglück." (56) So versammeln sich in diesem Buch Lebenserfahrung und - abgesehen von hypermoralischen Ausrutschern - ernstzunehmende philosophische Reflexionen zugleich.

Martin Heidegger saß selbst einst am Hang des Feldbergs und besaß eine kärgliche Hütte, in der er sich gern aufhielt. Dies macht viele seiner späteren philosophischen Auffassungen verständlicher. Aber auch das Buch hier nimmt Bezug auf Heidegger, macht ihn verständlich und denkt ihn teilweise fort. Oftmals übernimmt es gar die spezifische Terminologie Heideggers. Der Leser mag selbst entscheiden, ob dies vermessen ist oder innerhalb eines solchen Werkes sogar angebracht. Heidegger war ein führender Vertreter der deutschen Existenzphilosophie. In seinem Hauptwerk "Sein und Zeit" fragt er nach dem "Sinn des Seins." Er beschreibt viele "Existenzialien", von denen die "Angst" vor dem "In-der-Welt-Sein" eine der wichtigsten ist. Beim späten Heidegger trat dann das Sein stärker in den Vordergrund und der Mensch wurde durch seine Stellung zum Sein bestimmt, als ein passives, dem Sein untertäniges Wesen.

Der Autor des vorliegenden Buches geht in Anknüpfung an Heidegger auf "Sein und Raum" ein. "Das Dasein eines jeden Einzelnen ist mit seinem Feldweg so verbunden, wie der Räderlauf einer Nähmaschine, die frisches Gras schneidet" (9) Zum Sein kommt der Raum - zum Beispiel der Feldweg.
Fazit
Man lernt als Leser ähnlich wie von Heidegger: Gegen ideologische Blickverstellungen und in Zeiten der Not und Bedrängnis hilft es immer, seinen eigenen Feldweg zu gehen und dem "moralischen Gesetz in mir" (Kant) allein zu folgen. Das hilft auch gegen die Angst des "In-der -Welt-Seins". - Ein lesenswertes Buch!
8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne
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Vorgeschlagen von Daniel Bigalke [Profil]
veröffentlicht am 25. Oktober 2008

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