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Necla Kelek: Die verlorenen Söhne. Plädoyer für die Befreiung des türkisch-muslimischen Mannes

Die verlorenen Söhne. Plädoyer für die Befreiung des türkisch-muslimischen Mannes

von Necla Kelek (Biografie)
Verlag: Kiepenheuer & Witsch [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Sachbuch
ISBN-13 978-3-462-03686-2

Preis: 6,75 Euro bei Amazon.de [Stand: 24. April 2024]
Im Rahmen eines Projekts an der Fachhochschule Hamburg hat Necla Kelek verurteilte muslimische Straftäter interviewt. Anhand ihrer Biografien charakterisiert sie die türkisch-muslimische Männerrolle. Die Interview-Partner und sie selbst verstoßen damit gegen das Tabu, dass Familienangelegenheiten nicht nach außen gelangen dürfen. Die Gebote der islamischen Gemeinschaft werden von Männern formuliert, ihre Einhaltung wird von Männern kontrolliert. Regeln müssen nicht erklärt, sondern befolgt werden. Im Namen der Familienehre wird auch getötet und misshandelt. Das patriarchalische Männerbild ist durch die Ansicht geprägt, dass Männer ihre Triebe nicht beherrschen können. Frauen und Töchter sind im Haus zu halten, zu kontrollieren und zu beschützen. Die ehemals vom Großgrundbesitzer, dem Aga, beherrschten dörflichen Gemeinschaften in der östlichen Türkei sind bis heute von der Angst vor Rache geprägt. Der Staat ist keine anerkannte Autorität. Jungen lernen, dem Stärkeren zu gehorchen. Frauen hält man für unfähig, männliche Kinder zu erziehen. Kritik, Selbstkritik und gesellschaftliche Veränderungen sind nicht vorgesehen.

Die Autorin beschreibt anschaulich den Unterschied zwischen Kindern, die zu Hause lernen "du sollst nicht stehlen" und denen, die erfahren "du sollst deinen Vater nicht bestehlen; denn er wird dich verprügeln". Den bewegenden Lebensgeschichten türkischer Immigranten in deutschen Justizvollzugsanstalten ist gemeinsam, dass die Begriffe Schuld, Reue oder Verantwortung für die befragten Männer nicht existieren. Die Familie hat sie mit verschiedensten "Geschäften" beauftragt und sie hatten zu gehorchen; Tötungsdelikte sind "wie Unfälle" passiert.
Aus muslimischen Parallelkulturen in Berlin und in Hamburg-Veddel berichtet die Autorin, dass viele Familien ihre Traditionen durch Schulbildung ihrer Kinder gefährdet sehen. Gewalt wird erlebt, befürwortet und selbst ausgeübt.
Fazit
Necla Kelek verknüpft in einem großen Rundumschlag ihre persönliche Auseinandersetzung mit dem Islam mit der Lebenssituation ihrer muslimischen Probanden. Sie rechnet mit den Themen Beschneidung, Opferfest, der Rolle der Hodschas in muslimischen Gemeinden in Deutschland und der Fatwa ab. Die Interviews sprechen für sich selbst, Kelek hätte sich nicht zu jedem Aspekt des sehr lesenswerten Buchs selbst einbringen müssen. Wie auch in "Die fremde Braut" fordert Kelek von deutschen Behörden, dass es keinen "Naturschutz für Migranten" geben dürfe, sowie die Durchsetzung von Deutsch als Verkehrssprache und verpflichtenden Schulunterricht ohne Ausnahmen für alle muslimischen Mädchen und Jungen. Veränderungen will sie durch strengere gesetzliche Vorschriften des deutschen Staates erreichen. Dabei hat die Autorin gerade mit ihren Männer-Portraits im ersten Teil des Buches deutlich gemacht, dass in Parallelkulturen die deutsche Gesetzgebung nur bedingt wirksam ist. Von ihr als Wissenschaftlerin islamischer Herkunft hätte ich andere Ideen erhofft als die Standardforderungen deutscher Politiker.
6 Sterne6 Sterne6 Sterne6 Sterne6 Sterne6 Sterne6 Sterne6 Sterne6 Sterne6 Sterne
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Die fremde Braut. Ein Bericht aus dem Inneren des türkischen Lebens in Deutschland

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Vorgeschlagen von Helga Buss [Profil]
veröffentlicht am 20. September 2006

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