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Nadia Faichney, Stefan Moster: Die glückliche Amsel

Die glückliche Amsel

von Nadia Faichney, Stefan Moster
Verlag: Monterosa Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Psychologie & Psychotherapie
ISBN-13 978-3-942640-11-4

Preis: 28,00 Euro bei Amazon.de [Stand: 28. März 2024]
Ein großformatiges, illustriertes Kinderbuch lässt zunächst an Kinder im Bilderbuchalter als Zielgruppe denken. Stefan Mosters (Autor von Alleingang) und Nadia Faichneys (Illustratorin von Papas Seele hat Schnupfen) Bilderbuch entstand jedoch für Kinder ab 10 Jahre, mit denen das Buch im Rahmen einer Psychotherapie bearbeitet wird. Ein Aufdruck an der Oberkante des Buchcovers weist darauf ausdrücklich hin.

Das Titelbild zeigt eine blonde, sehr ernst blickende Person, die eine große schwarze Wolke nach oben drückt. Sie kommt einer vertrauensvoll blickenden Amsel dabei sehr nahe und kann sie direkt ansehen. Die Geschichte beginnt in der Weitwinkel-Ansicht einer riesigen verschneiten Fläche, in der weit hinten ein Bauernhaus mit Scheune zu sehen ist, wie es in Büchern von Astrid Lindgren beschrieben sein könnte. Als Rahmenhandlung erzählt das blonde Kind in der Ichform von einem schwarzen Schatten, der eine Amsel zu greifen versucht. Die Amsel duckt sich und wirkt wie gelähmt. Die wie mit Kohlenstaub geschwärzten Hände wirken durch ihre bildfüllende Größe bedrohlich. Die winzige Kinderfigur dagegen kann der Amsel von ihrem Fenster aus nicht helfen.

In die Rahmenhandlung eingefügt sind die traumatischen Erlebnisse des erzählenden Kindes. Der Gesichtsausdruck der Figur wirkt bedrückt, der Kopf sitzt auf einem sehr schlanken, kindlichen Körper mit sehr kleinen Händen. In späteren Szenen muss das Kind von weit unten zum Erwachsenen aufblicken. Am Bildrand ist ein kleinerer schwarzer Schatten zu sehen, der das Bild zu verschmutzen scheint. Aus der Sicht des nicht betroffenen Erwachsenen spricht mich die bildliche Darstellung der androgyn wirkenden Kinderfigur direkt an, die keine Geschlechtsrolle vorgibt.

Das Kind ringt um treffende Worte, die den Täter und die Tat beschreiben. Der Täter hat eine gute, sozial anerkannte Beziehung zu dem ihm anvertrauten Kind und zeigt eine fürsorgliche Seite, in der es einen falschen, verbotenen Anteil gibt. Doch für das Fremde, schwer Einschätzbare in dieser Person fehlen dem Kind die Worte. Es erzählt, wie es erstarrt, sich nicht wehren und nicht um Hilfe rufen kann. Ein riesiges schwarzes Netz scheint sich erstickend über das gesamte Leben des Kindes zu legen. Die Tat scheint auch bestimmte Räume vergiftet zu haben, so dass die junge Icherzählerin Bilder dieser befleckten Räume zerreißen und bekritzeln muss. Die bedrohte Amsel kann am Ende davon fliegen, für sie gibt es einen Ausweg aus der gefährlichen Situation und damit ein versöhnliches Ende der Geschichte.

Im Nachwort erklärt ein Psychotherapeut in leicht verständlicher Sprache, was ein Trauma ist und wie es Sprachlosigkeit verursachen kann, die eine Therapie zunächst überwinden muss.

"Die glückliche Amsel" spricht betroffene Kinder auf mehreren Ebenen an und bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte. Der einfühlsame Text aus der Ichperspektive ermächtigt zu Worten, die einem betroffenen Kind bisher gefehlt haben könnten. Die einzelnen Bildseiten liefern zusätzlich Gesprächsanreize für bisher unausgesprochene Empfindungen: die Hilflosigkeit, verwirrende körperlichen Beschwerden und das Gefühl, den eigenen Körper ablehnen zu müssen. Kinder können zu einzelnen Bildern frei assoziieren, sich in die Amsel oder in das betroffene Kind einfühlen. Da auch Täterstrategien einer vertrauten Person mit einer dunklen Seite deutlich werden, kann ich mir das Buch außer für den Einsatz in der Therapie auch für Präventionsarbeit mit Eltern vorstellen, die zur Rolle nahestehender Täter oft noch ein ambivalentes Verhältnis haben. Das Rezensionsexemplar ist in der Therapie von Kindern bis 12 Jahre mit Gewalterfahrungen im Einsatz.
Fazit
Das in Text und Bild außerordentlich einfühlsame Buch kann ich Therapeuten direkt für den Methodenkoffer und für die Zielgruppe betroffener Kinder nur empfehlen.
10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne

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Vorgeschlagen von Helga Buss [Profil]
veröffentlicht am 20. September 2019

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