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E.M. Cioran: Aufzeichnungen aus Talamanca

Aufzeichnungen aus Talamanca

von E.M. Cioran
Verlag: weissbooks [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Philosophie
ISBN-13 978-3-940888-24-2

Preis: 14,18 Euro bei Amazon.de [Stand: 19. April 2024]
Leben heißt, etwas Aufgegebenes erfüllen. In dem Maße, wie wir es vermeiden, unser Leben an etwas zu setzen, entleeren wir es. Leben heißt, auf ein Ziel hin abgeschnellt sein. Wenn ich selbst das Ziel bin, komme ich nicht voran. Das richtig schöpferisches Leben war für viele Philosophen ein straffes Leben und das ist nur unter zwei Bedingungen möglich: Entweder man herrscht selber, oder man ist in einer Welt behaust, wo einer herrscht, dem man volles Recht zur Ausübung seines Amtes zuerkennt. - Man herrscht oder gehorcht. E.M. Cioran gehörte zu jenen, die nicht gehorchten, sondern frei und selbst herrschten.

E.M. Cioran, der große Denker des stolzen Verneinens, hielt sich vor über vierzig Jahren, von Ende Juli bis Ende August 1966, in Talamanca auf Ibiza auf. Die Insel der Glückseligen, die damals noch nicht von Blumenkindern, Aussteigern und Partysüchtigen besetzt war, hat Cioran die erhoffte Ruhe nicht geschenkt. So entstand dort ein weiteres Werk der Negation, wie wir es von ihm gewohnt sind, denn an Ausspannen war nicht zu denken, weshalb er, vom Wetter und von Schlaflosigkeit geplagt, zu schreiben begann und ein Sommertagebuch einer erloschenen Liebe hinterließ. Auch auf Ibiza konnte er seiner Befindlichkeit, die er selbst zwischen Grauen und Ekstase ansiedelte, nicht entgehen. Sein Leiden machte ihn zu dem, was er war: Jemand, der nicht durch Politik oder Religion beherrscht werden konnte, sondern immer nur er selbst war und eine Situation - so auch auf Ibiza - ertrug, in der "jeder Beginn eines Gedankens" mit einem "Leiden überein" stimmt.

Und dennoch war ihm klar: Weit entfernt vom Mittelmeer zu leben, ist ein Irrtum. "Auf einer kleinen Insel leben, sich langweilen und beten, beten und sich langweilen..." - und damit war nicht das herkömmliche Beten gemeint, das sich einer Erlösung gewiss ist, sondern das Beten des Skeptikers, der die Gebrechen als Grundgegebenheiten seiner Existenz tief anerkannte. So notierte es sich Cioran Ende Juli 1960 in eines seiner Hefte. - Ebenso wie: "Gelassen zu leiden, das ist ein Geheimnis, wonach ich trachte." Mehrfach nimmt er sich in seinen Aufzeichnungen vor, die "Philosophie der Erlösung" des deutschen Philipp Mainländer zu lesen. Es scheint im wichtig zu sein, mit sich selbst zu klären, welche Lektüre ihn in der Hitze des Mittelmeeres wohl befreien könnte. - Und dennoch zweifelt Cioran wieder am Sinn der Erlösung und bleibt sein eigener Herr - mit Stolz.

Es war ein Urlaub von Paris, in dem er die vorliegenden Aufzeichnungen tätigte. Was hinter sich zu lassen sich tatsächlich lohnte, das kann er ohnehin nicht loswerden, und er weiß das. Der Text erschien erstmals im Original abseits der großen Ausgabe der "Cahiers" aus den Jahren 1957 bis 1972 und ist nun im ersten Programm des kleinen Frankfurter Verlags "Weissbooks" zu finden. Es bietet viele Fundstücke und zeichnet Cioran, der 1911 in Rasinari bei Hermannstadt in Siebenbürgen als Sohn eines griechisch-orthodoxen Priesters geboren wurde, als Menschen im Kampf gegen die Welt, gegen Gott, als Menschen mit klarer Abneigung gegen jede Form des Dogmatismus. Nach einem Philosophiestudium in Rumänien 1937 und dem Umzug nach Paris, wo Cioran bis zu seinem Tode 1995 lebte, war in seiner Philosophie, eine Philosophie eines rumänisch-französischen Extrem-Denkers, immer nur Zweifel möglich. Auch Philosophie war ihm nur als Zweifel denkbar.

So war ihm der Taumel der Normalzustand des Menschen, ein normales Klima des Seins, das aber nicht in den Selbstmord zwang, sondern in die Anerkennung innerweltlicher Disharmonie, um aus ihr heraus nach den Tugenden der Unausgeglichenheit zu leben und frei zu sein. - In Ciorans typischem Stolz aus Verzweiflung schreibt er:

"Umgeben von zu schönen Landschaften fühlt man die eigene Verderbtheit und ist ungehalten über die Leiche, die man mit sich herumschleppt."
Fazit
Das schmale Buch schlägt fast alle Themen Ciorans kurz an und ist somit auch für eine Erstbegegnung mit dem Autor geeignet. Das Bewusstsein des Scheiterns in der Nacht von Talamanca - ein grandioses Büchlein eines grandiosen Denkers!
10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne

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Vorgeschlagen von Daniel Bigalke [Profil]
veröffentlicht am 20. Dezember 2008

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