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Nicolas Gomez Davila: Notas. Unzeitgemäße Gedanken

Notas. Unzeitgemäße Gedanken

von Nicolas Gomez Davila
Verlag: Matthes & Seitz [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Philosophie
ISBN-13 978-3-88221-855-8

Preis: 29,49 Euro bei Amazon.de [Stand: 26. April 2024]
Wer sich bewußt Gomez Davila widmet, hat sich ebenso bewußt aus der Oberfläche der herrschenden Gemeinplätze zurückgezogen, um in das reine und ungebundene Denken selbst einzutauchen. Nicolás Gómez Dávila (1913-1994) ist neben Gabriel García Márquez der bedeutendste Autor Kolumbiens im 20. Jahrhundert. Er ist - wie angedeutet - ein Selbstdenker, der gerade deshalb die im Jetzt und Hier entstehende fragmentarische Form bevorzugt. Der aphoristische Stil in Anknüpfung an Nietzsche ist dafür die natürliche Konsequenz. Es geht dem Autor hier um die Wiederkehr des aristokratischen Gestus, um das Anliegen einer über Literatur erzielten radikalen Entrückung vom Allgemeinen. Freilich, man mag dieses Vorgehen als "Extremismus" kennzeichnen; dies kann aber nur eine Kennzeichnung bleiben, die sich der Sphäre des eigentlichen Anliegens des Schriftstellers entzieht, ihr nicht mehr zugehörig ist. Davila selbst löst diese Frage im Sinne seines Ziels emotioneller Entrückung selbst im vorliegenden Buch: "Politischer Extremismus beruht nicht auf doktrinärer Überzeugung; er ist lediglich die verbale Formel für Gefühlshunger." (294) Und diesen frei zu artikulieren und den potentiellen "Extremismus", der ja nur die terminologische Flucht davor ist, sich den eigentlichen Dingen zu stellen, in überhaupt jeder möglichen Haltung des Menschen kenntlich zu machen, dafür bietet das Buch nun auch ein vortreffliches Beispiel.

Die vorliegenden literarischen Stahlgewitter stellen ein beeindruckendes Beispiel für Davilas Werk vor - gespeist von ästhetischer und ethischer Gräuel über die moderne Gesellschaft und ihre Gemeinplätze. Verknüpft mit einem Essay von Martin Mosebach und einem Vorwort von Franco Volpi liegt damit ein in der Literatur- und Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts einzigartiges Buch vor, welches in der Tat auf jeder Seite dem Leser erlaubt, sich einem unverwechselbaren Stil zu widmen, der ihm einpaukt: "Jede Weisheit besteht darin, Gemeinplätze aufrichtig, gelassen und tief zu überdenken." (61) Es ist dies das zum ersten Mal in deutscher Sprache erschienene frühe Hauptwerk Nicolas Gomez Davilas, welches 1954 in Bogota zunächst als Privatdruck in einer Auflage von einhundert Exemplaren erschien.

So weist denn auch das Vorwort völlig richtig darauf hin, daß das in diesem Werk geschaffene Universum sich als ein geschlossener Raum darbietet, den zu betreten kein rationales Herangehen und keine ideologische Grundhaltung die Voraussetzung ist, sondern die Bereitschaft, sich in es hineinzuversetzen. Und sind wir ehrlich, so müssen wir unweigerlich zu dem Schluß kommen, daß hier auch das terminologische Konstrukt des "Reaktionärs" bei wertfreier Betrachtung bereits hinfällig wird, denn "Reaktionär" ist nicht gleich "Reaktionär". Die Wahrheit eines Terminus nämlich liegt nicht in den Dingen selbst, die er bezeichnet - hier in dem Begriff "Reaktionär" - sondern in der dem Worte jeweils subjektiv zugeschriebenen Bedeutung, also in dem subjektiven Urteil über das Wort, sofern es gedacht wird. Terminologische Bedeutungen variieren je nach individueller Wahrnehmung und zweckdienlicher Bedürfnisstruktur. Und so ist in diesem Fall der Reaktionär nicht Rückschrittler, sondern er ist der in seinem Sinne voranschreitende Genius, der einzig ein nicht auf Ruhm bedachter Herr über die Dinge - seine Dinge - bleibt: "Denken, Schreiben, alles ist leichter und einfacher, wenn wir nicht mehr glauben, wir müssten uns erhabenen Unternehmungen widmen." (179)
Fazit
Ob nun "Extremismus" oder "Reaktionär" - gepaart mit selbstdisziplinierter und stoischer Reife meint Davila: "Nichts in der Welt geht uns verloren, wenn wir eine einzige Sache gründlich besitzen." (354) Vielleicht sollte man den Gestus seiner Gedankenwelt gründlich besitzen, um so geistig frei wie er zu werden und damit die Welt mit weniger gern gesehener Leichtfertigkeit der kultivierten Affekte zu betrachten.
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Vorgeschlagen von Daniel Bigalke [Profil]
veröffentlicht am 13. Januar 2008

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