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Michael Roik: Die DKP und die demokratischen Parteien 1968-1984

Die DKP und die demokratischen Parteien 1968-1984

von Michael Roik
Verlag: Ferdinand Schöningh Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Politik
ISBN-13 978-3-506-75725-8

Preis: 66,00 Euro bei Amazon.de [Stand: 29. März 2024]
Zwischen verfassungsrechtlicher Legalität und revolutionärem Anspruch

Die Gründung der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) in Essen ist ein Paradox der westdeutschen Nachkriegsdemokratie, wie es kein anderes gibt. Die Verfassungsrechtler kennen zwar entgegen anderen "westlichen" Demokratien Europas das 1951 gegen die KPD erfolgreich angewandte Parteiverbot nach Art. 21 GG, mußten aber der Gründung der DKP zusehen, beziehungsweise zeigten kaum Ambitionen, die Gründung dieser Partei zu verhindern. Allen war aber klar, daß es sich 1968 um die Nachfolgepartei der früher verbotenen KPD handelt.
Michael Roik, Ministerialrat beim Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, legt nunmehr eine Studie vor, die das Ziel hat, unter Anerkennung einer Differenz von "Demokratie und Diktatur" die Geschichte der DKP 1968-1984 nachzuzeichnen. Er spricht vom "Phänomen DKP", obwohl eine phänomenologische und damit von subjektiven Bezugswerten unbehelligte Untersuchungspraxis von Referenzmaßstäben wie "Demokratie" oder "Diktatur" zur Beschreibung eines Phänomens abstrahieren müßte. Trotz gebotener Vorsicht gegenüber seiner Methode offenbart das Buch Neuheiten. Es wird deutlich, daß die DKP den Staatsparteien von DDR und UdSSR, die den Systemgegensatz zur Bundesrepublik lebensnotwendig kultivierten, als Interventionsorgan für ihre "Westarbeit" in der Bundesrepublik diente.
Roik stellt sodann nachfolgend die Frage, wie sich dieses Wirken mit der westdeutschen Verfassungsordnung überhaupt vereinbaren ließ. Hier benennt er zurecht eine Entwicklung, die bis heute den politischen Alltag im Nachkriegsdeutschland prägt. Das Opportunitätsprinzip beim Umgang mit verfassungsfeindlichen Tendenzen hat mit dem Aufkommen der DKP eine neue Qualität erfahren: Während im Umgang mit Rechtsextremisten der "demokratische Konsens" fortbesteht, ist er in der Abgrenzung zu Linksextremisten erodiert. Roik verfolgt schließlich die Verhaltensmuster von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen und kommt zu dem Ergebnis, daß es der SPD - auch infolge der "neuen Ostpolitik" sowie der Entspannungspolitik - wichtig war, das Verhältnis zur DDR zu entspannen, indem man die Sozialisten im eigenen Land - vertreten durch die neue DKP - gewähren ließ. Zudem waren ab 1985 die Sozialdemokraten im Rahmen der "Bündnispolitik" zu sicherheitspolitischen Vereinbarungen mit der SED und der KPdSU bereit und reihten sich in eine gemeinsame Front gegen die CDU/CSU-Bundesregierung sowie gegen die Politik der NATO ein. Der DDR sei es mit einer der DKP übertragenen Bündnispolitik gelungen, "dem öffentlichen Meinungsdruck eine Richtung zu geben", der elektoral - über Wahlen - nicht zu erreichen war. Gleichwohl gebühre der 68er-Studentenbewegung das Verdienst, "die Gründung und Entfaltung der DKP mitbegünstigt zu haben." Roik ignoriert an dieser Stelle, daß jene Re-Legalisierung der DKP schon früher durch die im Mai 1968 gegründete Sozialistische Arbeiterjugend (SDAJ) einsetzte. Zudem nahmen schon am 3. April 1968 der Sekretär des Zentralrats der FDJ E. Rau und S. Rausch von der Westabteilung des ZK der SED die Werbung für eine "antiimperialistische Demokratie" im Westen in Angriff, um dem sozialistische Referenzmodell im Westen einen wohlklingenden Namen zu verleihen.
Bis 1984 hatte sich der antitotalitäre Konsens jedoch längst verschoben. Die DKP wurde zur renommierten parteilichen Kraft, die sich gewisser Bündnispartner sicher sein konnte. Spätestens hier hätte Roik aber herausstellen müssen, daß die "freiheitlich-demokratische Grundordnung" schon vorher einer Sonderentwicklung unterlag und fortwährend als im Grundgesetz von 1949 nicht definierte "verfassungsmäßige Ordnung" verstanden wurde, womit Verfassungswidrigkeit erstmalig in Deutschland kein Verhalten mehr war, sondern als politische Gesinnung gleichsam unterstellt werden konnte. Die derartige "antitotalitäre" Ausrichtung des Grundgesetzes hatte den Spiegel der Selbstreflexion zum Erkennen des eigenen totalitären Potentials genüßlich zertrümmert, andernfalls hätte die DKP von Beginn an als normale Opposition begriffen werden müssen. So verwundert es nicht, daß gerade durch diesen "antitotalitären" Rigorismus die Zahl sogenannter "Verfassungsfeinde" von links, die sich infolge der DKP-Bündnispolitik nun auch im Parlament und den Gewerkschaften befanden, stark anwuchs. An die Stelle des Antitotalitarismus trat ein selektiv operierender Antifaschismus - unter Preisgabe des Antikommunismus.
Zu bedauern ist, daß Roik das dezidiert kritische Hinterfragen dieser Prozesse am Beispiel der DKP nicht absolviert, was die Lektüre recht ermüdend gestaltet. Man hätte erkennen können, daß der Code Freund - Feind, der die bundesdeutsche Politik bestimmt, auch jener Code ist, der zwar die Opposition zu parlamentarisieren trachtet, durch diese Legalisierung aber die Opposition gegen das Konstrukt der Legalität selbst und damit die Möglichkeit des Politischen überhaupt ausschließt. Regierung und Opposition werden auf der Suche nach der möglichst populären Meinung austauschbar. Der heutige "Populismus"- Vorwurf ist vielmehr auf die parlamentarischen Parteien selbst anzuwenden. Womöglich bot aber die DKP für viele Menschen die Option, aus der Reproduktion dieses Immer-Gleichen in der alten Bundesrepublik auszuscheren. Nicht zuletzt trägt doch gerade die Möglichkeit dynamischen Konflikts zur Selbsterhaltung des Politischen bei. Die konstruktive Einschränkung einer ausschließlichen Beurteilung der Systemintention von Parteien nach "systemkonträr" und "systemloyal", die inzwischen hinfällig zu werden scheint, thematisiert Roik ebensowenig, obwohl eine Studie zur DKP gerade in Anbetracht heutiger Entwicklungen genügend Anlaß dazu geboten hätte. So vermittelt diese Studie zwar interessante Neuheiten, nicht aber die Bereitschaft zu politisch umfassendem Reflexionsvermögen. Daniel Bigalke
Fazit
Michael Roiks Studie beschreibt das Wirken der DKP als Modus der SED-Westarbeit. Sie bietet zwar interessante Neuheiten, versäumt es aber, das Phänomen "DKP" umfassend aus sich selbst heraus zu verstehen, um es statt dessen vielmehr an herrschenden politischen Maßstäben zu messen, was an sich von der Reflexionslogik her gesehen nicht schwer ist.
5 Sterne5 Sterne5 Sterne5 Sterne5 Sterne5 Sterne5 Sterne5 Sterne5 Sterne5 Sterne

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Vorgeschlagen von Daniel Bigalke [Profil]
veröffentlicht am 19. März 2007

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