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William Gibson, Bruce Sterling: Die Differenz-Maschine

Die Differenz-Maschine

von William Gibson, Bruce Sterling
Verlag: Wilhelm Heyne Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Science Fiction
ISBN-13 978-3-453-52672-3

Preis: 5,99 Euro bei Amazon.de [Stand: 25. April 2024]
William Gibson lernte ich mit seinen Cyberpunkromanen kennen und ich hatte damals die Möglichkeit, ein Interview mit ihm zu führen. Leider gehört dieses Interview wie verschiedene andere Datensätze zu jenen, die während eines Festplattencrashs sich ins Datennirwana verabschiedeten. Von Gibson wird gesagt er sei ein Moralist, der gern den Finger in die Wunde "Moderne" steckt und so mit den falschen Vorstellungen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung aufräumt. Co-Autor Bruce Sterling steht dabei in keinem schlechteren Ruf. Beide Autoren räumen mit dem Vorurteil auf, der Computer sei letztlich das Beste, was ein Mensch je erfinden konnte. Die heilsbringende Maschine wird zu dem degradiert, was sie tatsächlich ist. Viel Metall und Plastik. Im vorliegenden Roman wird das Plastik durch Holz und Metall ersetzt. So blenden wir um in ein viktorianisches Grossbritannien, in denen der tatsächlich lebende Charles Babbage erfolgreich eine Analytical Engine baute. Die Mutter unserer heutigen Computer.

Das viktorianische London Mitte des 19ten Jahrhunderts in einer Parallelwelt ist der Ausgangspunkt dieser Erzählung. Sie wird seit einiger Zeit dem Science Fiction Sub-Genre Steampunk zugeordnet. Doch dies nur am Rande. Das dampfbetriebene Zeitalter ist angebrochen. Unterstützt wird es durch den Lochstreifencomputer, den der berühmte Erfinder Charles Babbage 1821 baute. Aus dieser Erfindung ging die Differenz-Maschine hervor. Seither gehört Grossbritannien zur grössten Macht der Erde. Die Radikale Partei unter Lord Byron herrscht. Die industrielle Revolution schreitet seit der Erfindung des Computers voran. Doch der jähe Fortschritt sorgt auch für Unruhe zwischen der versnobten Oberschicht und der Arbeiterschaft, die in den Maschinenhallen eher ihr Leben fristet, denn lebt. Mit dem Commonwealth im Hintergrund steht der europäische Inselstaat als Grossmacht da. Japan ist eine Kolonie und die USA sind nicht einmal annähernd das, was der Name bedeutet. Zerfallen in lauter kleine Einzelstaaten wird Texas von Sam Houston regiert, einer weiteren real existierenden Persönlichkeit. Der Krimkrieg tobt und andere in unserer Zeit spielende Ereignisse fanden statt, wenngleich mit anderem Ausgang. Natürlich gibt es auch Neider und so ist Herr Bonaparte aus Frankreich einmal mehr daran interessiert, den Erzrivalen zu bekämpfen. Dabei könnte Napoleon doch zufrieden sein, gehört ihm doch schon fast das ganze Kontinentaleuropa.

Dies ist die Geschichte von mehreren Personen. Sybil Gerard, die Tochter eines berüchtigten, aber exekutierten Ludditen (Maschinenstürmer) kommt als Hure daher. Einst der High Society angehörend, ist sie nach dem Tod des Vaters auf das Niveau einer Edelprostituierten gesunken. Edward Mallory ist ein Entdecker, Wissenschaftler (Paläontologe) und Rekonstrukteur des sagenhaften Land-Leviathan, ist die zweite dominante Persönlichkeit wie auch Lady Ada Byron, die Tochter des Premierministers. Letztere ist ein wahres mathematisches Genie und Assistentin von Charles Babbage. Laurence Oliphant, Diplomat, Spion und Ränkeschmied ist der Leiter der Geheimdienstabteilung des Aussenministeriums. Das Schicksal dieser Personen wird durch einen geheimnisvollen Lochkartenstapel bestimmt, der sehr mächtig sein soll. Denn damit könnte die Differenzmaschine zu einem eigenen Bewusstsein gelangen.
Fazit
Die Differenz-Maschine untersucht die sozialen Konsequenzen der industriellen Revolution. Jedoch mit dem Unterschied, dass sie eine fiktive Revolution zum anlass nimmt. Es gibt bereits genügend Untersuchungen über den Aufstand der Weber und den damit einhergehenden Veränderungen in der Gesellschaft. Mit dem vorliegenden Roman wird eine konstruierte Geschichte zum Anlass genommen, ein Ergebnis zu erzielen. Allerdings ist sind beide Voraussetzungen, Gesellschaft und Untersuchung, fiktiv und damit nicht Aussagekräftig. Neben dieser rein theoretischen Ausrichtung, die die beiden Autoren sogar anders sehen mögen, findet sich natürlich eine spannende Handlung. Neid, Liebe, Hass, Verrat, Treue gedeihen auf der fiktiven Welt genauso wie in der Wirklichkeit. Mit den Handlungsträgern sehen wir in Lord Byron die Spitze der Gesellschaft und in Sybil Gerard den Boden. Die Gesellschaft selbst gründet sich auf der technokratischen Regierung Byrons und einer Anbetung des Maschinengottes Differenz-Maschine. Ähnlich wie in Geschichten von Schriftstellern des viktorianischen Grossbritannien, sehen wir eine elendige Vison eines industriellen Landes, dass die Natur als gegeben, aber eher lästig hinnimmt. Damit ist die Erzählung ein Widerpart der Romantiker aus der Mitte des 19ten Jahrhunderts.

Wer den Roman um die Maschinenstürmerin Sybil gut verstehen will, sollte zumindest über gute Allgemeinbildung und ein wenig über Computer und das Leben um 1875 im alten Europa verstehen. Wer sich nicht so gut auskennt, dem entgeht zwar keine gute Geschichte, aber gute Anspielungen. Etwa, wenn man den Kommunisten / Marxisten Karl Marx in den kapitalistischen Teil Amerikas verfrachtet, wenn man Ideologien etwas verballhornt und anderes mehr. Wie in anderen Romanen ist die Technik nicht die Heilsbotschaft, sondern die Wurzel allen Übels. Die Konflikte unter den Menschen werden weder weniger noch friedlicher. Das Buch ist in der Tat gelungen, die Handlung vielschichtig und der Leser muss seinen Grips anstrengen, wenn er der Handlung folgen will. Ein schwieriges Buch, ein lesenswertes und kritisches Buch.
9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne
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Vorgeschlagen von erik schreiber [Profil]
veröffentlicht am 28. Juni 2013

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