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Herfried Münkler: Clausewitz' Theorie des Krieges

Clausewitz' Theorie des Krieges

von Herfried Münkler
Verlag: Nomos Verlagsgesellschaft [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Politik
ISBN-13 978-3-8329-0163-9

Preis: aktuell keine Daten vorhanden
Herfried Münkler hat den Begriff der "neuen Kriege" mit seinem 2002 erschienenen Werk einer breiten Öffentlichkeit bewußt gemacht. Seine diesbezügliche Hauptthese ist, dass es sich in den seltensten Fällen um zwischenstaatliche Kriege im klassischen Sinne handelt, sondern um transnationale Kriege, die eine Gemengelage aus Staatenkrieg und Bürgerkrieg bilden.

Ist nun Clausewitz Theorie des Krieges geeignet, das Phänomen der "neuen Kriege" und des internationalen Terrorismus zu begreifen? Im Gegensatz zum Jerusalemer Militärhistoriker Martin van Creveld, dessen Werk: "Die Zukunft des Krieges" bereits 1991 geschrieben und 1998 in deutscher Übersetzung veröffentlicht wurde, bilanziert Münkler, dass Clausewitz Theorie hoch aktuell sei und besser geeignet sei, die neuen Formen des internationalen Terrorismus zu erklären wie aktuelle Werke, die dieses Phänomen zu begreifen versuchen (Münkler bezieht sich auf Samuel Huntingtons Clash of Civilizations).

Warum? Clausewitz definiert Krieg als "Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung seines Willens zu zwingen." Nur in diesem Kontext sei Clausewitz' berühmter Satz vom Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln zu begreifen. Vollständig zitiert lautet er: "So sehen wir also, dass der Krieg nicht bloß ein politischer Akt, sondern ein wahres politisches Instrument ist, eine Fortsetzung des politischen Verkehrs, ein Durchführen desselben mit anderen Mitteln." Hier werde - so Münkler korrekt - der Wille der Kämpfenden als ein politischer Wille identifiziert, und auf dieser Grundlage werden militärische Entscheidungen den Vorgaben der Politik untergeorndet. Nun sei dieser Primat der Politik von der ursprünglichen obigen Definition des Krieges als Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwigen, nicht zwingend. Auch habe Clausewitz zwar dazu tendiert, das Politische mit dem Begriff des Staates zu identifizieren, jedoch - entgegen Crevelds Annahme - nicht durchgängig.

Clausewitz Werk sei von starker analytischer Präzision geprägt gewesen, wie seine Unterscheidung der Begriffe Strategie und Taktik sowie zwischen Angriff und Verteidigung beweise.

"Die verteidigende Form des Kriegführens", so konstatiert Clausewitz, "ist an sich stärker als die angreifende", dafür habe sie im Erhalten jedoch nur einen negativen, der Angriff im Erobern dagegen einen positiven Zweck. Clausewitz definiert den Begriff der Verteidigung darum als stärkere Form mit dem schwächeren Zweck und den Angriff im Gegensatz dazu als die schwächere Form mit dem stärkeren Zweck. Damit komme auch die Politik hier wieder ins Spiel, der die Aufgabe zufalle, die "Hauptlineamente des Krieges" zu bestimmen: "Wer stark genug zu sein glaubt, sich der schwächeren Form zu bedienen, der darf den größeren Zweck wollen; wer sich den geringeren Zweck setzt, kann es nur tun, um den Vorteil er stärkeren Form zu genießen."

Wenn man nun die Begriffe "negativ" und "positiv" wertneutral betrachtet und als "negativ" als "Erhalt des Status quo" definiert und "positiv" in dem Sinne interpretiert, dass im Angriff ein fest definiertes, positiv gesehenes Ziel gemeint ist (denn Eroberung kann aus heutiger historischer Sicht meines Erachtens kein "positives" Ziel sein) und die Zeit berücksichtigt, in der das Hauptwerk von Clausewitz: "Vom Kriege", auf welches Münkler sich in seinem Vortrag bezieht, berücksichtigt (erstes Drittel des 19. Jahrhunderts), so hat Clausewitz mit seiner Definition von Angriff und Verteidigung sicherlich einen wichtigen Beitrag zur Ursachenforschung von Kriegen geleistet. Dies konstatiert Münkler, ohne die von mir oben gemachten Einschränkungen hinzuweisen. Münkler hätte auch die Nähe zwischen der Definition des Krieges durch Clausewitz und der Definition von Macht im Sinne Max Webers hinweisen können. Macht ist laut Weber die Fähigkeit, seinen Willen gegen den Willen anderer durchzusetzen. Krieg ist also, wenn die obige Definition von Clausewitz angewandt wird, ein Machtinstrument.

Hier wird die ungeheure Aktualität von Clausewitz' Denkansatz deutlich und hier machen Münklers Bemerkungen durchaus Sinn: ausgehend von Clausewitz Kriegsdefinition als Akts der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen, definiert Münkler den Begriff des neuen internationalen Terrorismus als Kampfesweise, die aus einer Position der Schwäche heraus den Versuch unternehme, in der schwächeren Form den stärkeren Zweck [also der Definition des Angriffs nach Clausewitz; B.N.] zu verfolgen, und die dies nur kann, weil sie mit radikalen Auflösungen und Umdefinitionen arbeitet. Die Planer der Terrorattacken vom 11. September 2001 hätten Gewalt angewandt, um ihren Gegner, die USA, zur Erfüllung ihres Willens zu zwingen. Dieser Wille dürfte darin betehen, die USA zum Rückzug ihrer militärischen, aber auch wirtschaftlichen kund kulturellen Präsenz aus den arabisch-islamischen Ländern zu zwingen. Zwar müsse der Begriff "Schlacht" durch "Massaker" ersetzt werden und die symmetrische Konfrontation gleich gerüsteter Gegner sei durch asymmetrischen Gewalteinsatz abgelöst worden, was das Kennzeichen der "neuen Kriege" sei (dies führt Münkler ausführlicher in jenem Buch aus). Ansonsten treffe die Clausewitzsche Definition von Krieg, Angriff und Verteidigung zu. "Eine solche durch die Clausewitzsche Theorie angeleitete Analyse der jünsten Formen des internationalen Terrirismus scheint mir jedenfalls erheblich prognosefähiger und rationaler zu sein als die kulturalistisch imprägnierten Spekulationen, die seit geraumer Zeit ins Kraut schießen." Man werde sich der Herausforderung durch den neuen internationalen Terrorismus jedenfalls ehr gewachsen zeigen, wenn man sich bei seiner Bekämpfung an Clausewitz statt an Huntington halte. Dieses Fazit von Münkler kann ich nur teilen.

Ein interessantes Buch, welches allerdings Clausewitz Theorien generell nur äußerst knapp, wenn auch präzise, abhandelt. Außerdem hätte neben der Definition des Krieges auch der Begriff der "Macht" und der des "neuen internationalen Terrorismus" in die Analyse mit einbezogen werden müssen.
Fazit
Ansonsten sehr lesenswert, da es die Aktualität von Clausewitz Theorie des Krieges - erschreckend - verdeutlicht.
7 Sterne7 Sterne7 Sterne7 Sterne7 Sterne7 Sterne7 Sterne7 Sterne7 Sterne7 Sterne
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Vorgeschlagen von Bernhard Nowak [Profil]
veröffentlicht am 28. Juni 2004

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