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Terror auf der Zugspitze

"Der Beruf des Autors ist nach Grubenarbeit in bolivianischen Silberminen der anstrengendste Beruf der Welt"


Mit Kreuzzug hat der in Garmisch-Partenkirchen aufgewachsene Autor Marc Ritter einen packenden Thriller über internationalen Terrorismus auf deutschem Boden geschrieben. Buchtips.net sprach mit ihm über die Entstehung des Romans und die Frage, ob vielleicht auch mal ein Kinderbuch ein Thema wäre.

Michael Krause: Wie ist die Idee entstanden, die Zugspitze zum Handlungsort eines Thrillers zu machen?
Marc Ritter: Die Idee entstand nach einem realen Ereignis: Im November 2010 ließ der damalige deutsche Innenminister Thomas de Maizière die Kuppel des Reichstagsgebäudes in Berlin für Besucher sperren. Angeblich hatte das Bundeskriminalamt einen Anruf bekommen, in dem vor einem Anschlag auf den Reichstag gewarnt wurde. Terroristen planten dem Anrufer zufolge, Geiseln zu nehmen und ein Blutbad anzurichten. Ich wollte dieses Szenario, das ja vor allem Touristen aus aller Herren Länder ins Terrorvisier nähme, eine Nummer größer machen und habe mögliche touristische Ziele wie den Kölner Dom oder das Bayreuther Festspielhaus gedanklich abgeklappert. Plötzlich fiel mir ein, dass ich ja im Schatten des wohl bekanntesten deutschen Aussichtspunkts aufgewachsen bin: Der Zugspitze. Am nächsten Tag habe ich mit dem Exposé angefangen.

MK: Sie sind in den Bergen groß geworden. Welche neuen Aspekte haben Sie zur Zugspitze im Rahmen Ihrer Recherche gewonnen?
MR: Ich wusste ja praktisch nichts über diesen Berg, außer, dass da jede Menge Bahnen eine Unmenge von Menschen hinauf und hinab transportieren. Im Zuge meiner Recherche durfte ich auch überall hinter die Kulissen – wofür ich den Verantwortlichen der Bayerischen Zugspitzbahn und des Schneefernerhauses sehr dankbar bin. Ich habe gelernt, was es vor 80 Jahren bedeutete, diesen Tunnel in den Fels zu sprengen. Und, was es heute bedeutet, täglich Tausende von Menschen sicher rauf und runter zu karriolen und vor allem: zu verpflegen. Sie sind da oben auf einer Insel!

MK: Gerade die politischen Entscheidungsträger werden in "Kreuzzug" sehr authentisch dargestellt. Wie stark haben Sie sich von tatsächlichen Personen inspirieren lassen?
MR: Alle Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und weder vom Autor noch vom Verlag beabsichtigt.’ Naja, man denkt beim Schreiben schon an den einen oder die andere – und beim Leser läuft natürlich auch ein Film im Kopf ab, wenn ein Verteidigungsminister "Philipp zu Brunnstein", seine Frau "Caroline" heißt und die mit UGG-Boots über den zugefrorenen See stapft. In diesem Fall wollte ich einfach einen Politiker, der in der Blitzartigkeit seines Auftauchens und Verschwindens, aber auch in seiner Präsenz als Medienfigur während seines kurzen Schaffens unvergleichlich war, weiter leben lassen. Die anderen Politikerfiguren in meinem Roman sind eher archetypisch. Mit meiner Kanzlerin meine ich gar nicht unbedingt die aktuelle. Wenn man es aber liest, denkt man im Kopf sofort den Sprachduktus von Frau Merkel. Da kann man gar nichts dagegen machen. Die Bilder und Töne, die uns Fernsehen und Radio eingeimpft haben, sind zu stark.

MK: Mit "Josefibichl" haben Sie zunächst einen Regionalkrimi geschrieben, jetzt einen Politthriller. Welcher Roman ist Ihnen leichter gefallen?
MR: Auch auf die Gefahr, dass ich mich hochnäsig anhöre: Das Schreiben fällt mir leicht. Ist die Grundidee mal da, schreibe ich in einem Sitz ein paar Hundert Seiten durch. Der "Josefibichl" war jedoch, weil es mein Erstling war auf den ersten 50 bis 60 Seiten eine schwierige Geburt: vier Jahre habe ich gebraucht. Ich wusste ja nicht, dass ich so etwas überhaupt kann, ein Buch schreiben! Als ich von außen, also vom Lektorat des Piper Verlages, Zuspruch bekommen habe, flutschte es: 250 Seiten in drei Monaten. Beim "Kreuzzug", dem Zweitling, war es dann schon mal leichter, weil ich wusste: ‚Hey, du bekommt ein Buch fertig. Du weißt, dass du’s kannst!’ Und so ein Thriller ist ehrlich gesagt dankbar, weil es ja ein vorgegebenes Timing gibt und einfach etwas passieren muss. Wichtig ist, dass die Prämisse stimmt. Also: Ist es wahrscheinlich, dass das Szenario so geschehen kann. Wobei ‚wahrscheinlich’ nicht ‚realistisch’ heißt, sondern ‚stimmig und für den Leser nachvollziehbar’.

MK: Lesen Sie denn selbst gerne Krimis?
MR: Schon wieder eine Frage, deren Antwort mich als hochnäsigen Schnösel dastehen lässt. Sei’s drum: Nein, ich lese ganz selten Krimis, ganz einfach, weil ich sehr viel Sachliteratur zu meinen eigenen Büchern lesen muss. Und wenn ich zum Zeitvertreib lese, was kaum vorkommt, dann ab und zu ein belletristisches Buch aus der sogenannten hohen Literatur. Von Frédéric Beigbeder über Philip Roth zu Péter Nadas. Ich will ja meinen Stil verbessern. Das ist wie beim Tennis: Man spielt als Anfänger am besten mit viel Besseren, damit man dazulernt. Nicht zu vergessen: Schreiben, Überarbeiten, Redigieren, Lesungen, Besprechungen, Interviews, Facebook, Newsletter, Steuer – der Autor ist eine Ich-AG und das Autorenleben braucht viel Zeit. Es ist nach Grubenarbeit in bolivianischen Silberminen des 16. Jahrhunderts der anstrengendste Beruf der Welt, auch, wenn das Bild in der Öffentlichkeit ein anderes ist.

MK: Wie sind Sie dazu gekommen, selbst Krimis zu schreiben?
MR: Zu der Zeit, als ich einmal ein paar Krimis gelesen habe, das waren vor vielleicht 15 bis 20 Jahren einige von Donna Leon und drei, vier Wallander-Romane, dachte ich: ‚Mensch, sowas in deiner Heimat, das müsstest du mal schreiben!’ Damals gab es noch keinen einzigen Bayern-, Alpen-, oder gar Garmisch-Krimi. Ich habe es mir einfach nicht zugetraut. Und außerdem haben mich Job und Familie auch ausgelastet. Aber umgetrieben hat mich das schon. Und vor sechs Jahren habe ich dann tatsächlich angefangen, den "Josefibichl" in einem Urlaub zu schreiben. Nach 40 Seiten war der Urlaub aus und die Anfänge des Romans sind auf meiner Festplatte kompostiert. Vor zwei Jahren habe ich das eher beiläufig einem Geschäftsfreund aus der Verlagsbranche erzählt. Er hat mir zugeraten, weiter zu machen, und hat die ersten Seiten an Piper geschickt. Zwei Wochen später hatte ich einen Vertrag. Der Mann ist heute mein Agent.

MK: Was zeichnet denn einen gelungenen Krimi aus?
MR: Das müssen Sie eigentlich die Kritiker fragen. Und wenn es eine einfache Antwort darauf gäbe, gäbe es mehr gute Krimis. Wahrscheinlich müssen eine Menge Dinge zusammenkommen und sich dabei aber auch die Waage halten: Ein guter Plot, eine glaubwürdige Prämisse, stringente und interessante Charaktere, ein nicht zu leicht zu lösendes Rätsel, Hintergründigkeit. Bei mir sicher auch: Humor. Der aber wirklich gut dosiert.

MK: Bei "Josefibichl" haben Sie mehrere Fassungen für das Ende gebraucht. Wie war das bei "Kreuzzug"?
MR: Auch so. Unter drei oder vier Fassungen kann meiner Meinung kein wirklich gutes Ende herauskommen, außer, man landet beim ersten Mal einen Sechser mit Zusatzzahl. Auch den Anfang schreibe ich mindestens zwei, drei Mal. Diese beiden Stellen sind das Allerwichtigste am Buch, denn die einen fangen nun mal von vorne zu lesen an, und die andern von hinten.

MK: Sie sind innerhalb kurzer Zeit mit mehreren Romanen auf den Markt gekommen. Wie lange haben Sie an den Werken jeweils gearbeitet?
MR: Hardcore-Schreibzeit jeweils drei bis vier Monate. Dann gibt es natürlich die Vorphase mit Exposéerstellung und Pitch beim Verlag und die nicht zu unterschätzende Nachphase mit mehreren Redigats- und Korrekturrunden. Von der ersten Idee bis zum Erscheinen des Buches zieht also mindestens ein Jahr ins Land. Verlage planen ja auch so lange vor. Wer also heute eine Idee hat, sollte damit rechnen, dass er (wenn er einen Verlag findet) in frühestens einem Jahr sein Buch in Händen hält. Eher in zwei. Und dann geht die Arbeit erst los. Denn ein Buch muss heutzutage auch vom Autor verkauft werden.

MK: Sie sind Vater von fünf Kindern. Wann finden Sie die Ruhe zum Schreiben?
MR: Die drei großen sind ja so gut wie aus dem Haus und die zwei kleinen im Ganztagskindergarten. Ja, wir sind Rabeneltern. Lang lebe die Ganztagsschule! Nieder mit der Herdprämie! Außerdem schlafen Kinder ja nachts manchmal. Und wenn alles nichts hilft: Schreibklausur auf der Berghütte. Ohne Internet.

MK: Würde Sie ein Ausflug in den Bereich Kinder- und Jugendbuch reizen?
MR: Meine Frau und ich lesen unseren beiden Kleinen (dreieinhalb und fünfeinhalb Jahre) jeden Abend eine halbe Stunde vor. Und ich erschrecke immer, wie viele langweilige Kinderbücher es gibt. Dummerweise finden gerade die Kinder diese besonders toll. Das Irre: Sie finden sie nach der 500sten Wiederholung erst richtig klasse. Da staune ich, wie anders Kinderhirne doch funktionieren. Auch interessant: Richtig gut sind die Klassiker wie Astrid Lindgren. Max und Moritz und besonders andere Sachen von Wilhelm Busch sind ja eigentlich keine Kinderliteratur, das ist große Kunst. Es müsste schon echt gut und auf den Punkt sein, was mir da aus der Feder tröffe. Das ist glaube ich heutzutage deswegen so schwer, weil es nicht mehr ‚den Achtjährigen’ und schon gar nicht ‚die Vierzehnjährige’ gibt. Aber reizvoll? Klar, auf jeden Fall. Ich schreibe gerade ein Konzept für das Fernsehen, das Kinder von der Glotze in das Gespräch mit ihren Eltern bringen soll. Nichts Didaktisches oder Moralinsaures, sondern was Herausforderndes für die Birne. Mal sehen, ob es das auch als Buch geben wird.

MK: Letzte Frage. Auf was können sich die Leser von Marc Ritter als Nächstes freuen?
MR: Wer nach diesem Interview immer noch etwas von mir lesen will, kann das derzeit in kleinen Häppchen tun. Der digitale Serien-Rätsel-Krimi "Transalp" hat 12 Folgen und derzeit ist gerade Folge 4 am Markt. Man kann also noch locker einsteigen. "Transalp" ist Gemeinschaftswerk mit dem so genannten Rätselpapst CUS. Anfang 2013 gibt es dann den Krimi-Nachfolger von "Josefibichl" und im Herbst 2013 den Thriller-Nachfolger von "Kreuzzug". CUS und ich haben auch schon ein paar nette Ideen, wie wir "Transalp" fortsetzen wollen. Und ich habe ein, zwei sehr spannende Sachbuch-Projekte auf der Platte, die aber noch streng geheim sind. Ach ja, Kinderbücher: Sie haben mich da auf was gebracht...

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