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Interview mit Steve Mosby

Es ist wichtig, Dinge aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten


Mit "Der 50/50 Killer" hat der Engländer Steve Mosby vor zwei Jahren einen vielbeachteten Thriller vorgelegt. Jetzt ist mit "Tote Stimmen" sein zweiter Psychothriller bei Droemer erschienen. Bevor der Engländer Ende April 2010 auf Lesereise durch Deutschland geht, hatte Buchtips.net Gelegenheit, mit dem Autor zu sprechen.

Michael Krause: Wie ist die Idee zu "Tote Stimmen" entstanden?
Steve Mosby: Wie in den meisten meiner Bücher entstand auch die eigentliche Handlung zu "Tote Stimmen" sehr langsam. Generell muss ich zunächst immer einen ersten Romanentwurf schreiben, bevor ich weiß, um was es eigentlich gehen soll (was unwahrscheinlich nervig ist und anschließend eine Menge Überarbeitungszeit in Anspruch nimmt). Meine Geschichten entwickeln sich erst nach und nach und sehr langsam. Der erste Entwurf zu "Tote Stimmen" hat sich sehr auf Dave Lewis' Profession als Magier und "Enthüller" von psychischen Phänomenen beschränkt. Ich war an seinen psychologischen Strukturen interessiert und daran, wie wir uns selbst und andere über die Dinge, die uns antreiben, belügen. Ich glaube, ich war schon mitten im Schreiben, als die ganzen Social Media – SMS, Facebook-Profile – immer wichtiger wurden. Sie schienen all meine Themen gut widerzuspiegeln. Aber am Anfang war das alle noch sehr vage! Das ist immer so – die meisten meiner Ideen entwickeln sich beim Schreiben, dann, wenn sich die Handlung langsam herauskristallisiert.

MK: Hat der Roman eine Moral, die Sie dem Leser mit auf den Weg geben wollen?
SM: Nicht wirklich. Ich lasse schon eine gewisse Moral in meine Texte einfließen, aber nicht auf beschreibende Weise und nicht mit erhobenem Zeigefinger, nach dem Motto "Du sollst dich so und so verhalten". Wenn eine Moral in irgendeiner Art vorhanden sein sollte, würde sie eher lauten "Kümmere dich um die Menschen, die wichtig für dich sind; und schieb sie nicht auf die Seite, nur weil es bequemer ist". Moral ist niemals schwarz oder weiß, und wir versuchen auf vielerlei Art und Weise unser Bestes, manchmal erfolgreich und manchmal weniger erfolgreich. An den Stellen, an denen sich Moral in meine Bücher einschleicht, geschieht dies gewöhnlich dadurch, wie die Protagonisten interagieren. Ich betrachte das eher als eine Diskussion über Moral und nicht als Vortrag, wenn das Sinn macht.

MK: Der Roman überzeugt durch viele interessante Figuren (Dave Lewis, Mary Carroll). Wie lassen Sie Ihre Figuren lebendig werden? 
SM: Ich versuche mich in alle meine Charaktere einzufühlen, auch in die bösen. Einen guten Rat, den ich vor Jahren bezüglich der Figurenzeichnung erhalten hatte, ist, im Hinterkopf zu behalten, dass der "Böse" eigentlich der "Gute" seiner eigenen Geschichte ist: Er denkt vermutlich nicht über sich, dass er bösartig ist, dadurch rechtfertigt sich sein komplettes Tun. Die meisten meiner Figuren, manche mehr, manche weniger, schlängeln sich durch ihr Leben so gut sie können, sie haben ihre Schwächen und machen Fehler und geraten oftmals in Konflikte mit anderen Charakteren. Es ist wichtig, Dinge aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Und daraus wiederum zu entwickeln, was die Figuren wollen, was sie zu erreichen versuchen, ihre Verwundbarkeit und ihre Stärken aufzuzeigen und ihnen in ihrem Handeln eine gewisse Aufrichtigkeit zu verleihen. Je mehr man sich darauf konzentriert, desto lebendiger werden die Figuren auf dem Papier.

MK: Planen Sie die Handlung im Voraus oder lassen Sie sich von der Story treiben?
SM: Ich lasse mich sehr von der Story treiben. Wie schon erwähnt, waren alle meine Bücher bis zu einem gewissen Grad geplant, manchmal sehr sorgfältig, aber es kommt selten vor, dass meine Stories sich ans Skript halten und sich so entwickeln, wie es ursprünglich einmal geplant war. Für mich ist das Schreiben einer ersten Rohfassung Teil des Planungsprozesses. Ich muss das Buch schreiben, um herauszufinden, wie es sein soll! Deshalb ist immer eine Menge Nachbearbeitung nötig. Zum besseren Verständnis: Nur etwa die Hälfte der ersten Version von "Tote Stimmen" habe ich in der zweiten Version übernommen. Von der zweiten Version macht ungefähr Dreiviertel das endgültige Buch aus. Natürlich hat diese Vorgehensweise auch eine negative Seite – viel mehr tippen und Frustration für mich – aber irgendwie entspannt es mich auch. Wenn ich weiß, was geschehen wird, kann ich viel befreiter schreiben, ohne mir zu viele Sorgen zu machen. Anstatt über jeden Satz in der ersten Fassung zu brüten, kann ich diesen attackieren und mich später damit beschäftigen es richtig zu machen.

MK: Schreiben Sie Ihre Romane chronologisch?
SM: Ich versuche es – das macht es zumindest wesentlich einfacher. Aber andererseits ist es natürlich nicht sehr schwer, noch einmal zu bestimmten Stellen zurückzukehren und Dinge zu ergänzen. Ich schreibe oft neue Szenen, die direkt zu Beginn des Buches passen, und manchmal stelle ich Szenen komplett um, so dass ein Ereignis aus der Mitte der Handlung in die ersten Kapitel vorgezogen wird. Es ist einfacher, chronologisch vorzugehen, aber nicht immer möglich, wenn du dir über Gegebenheiten klar werden möchtest, während du mitten im Thema steckst. Die andere Sache ist, dass ich aus dem Blickwinkel verschiedener Charaktere schreibe, deshalb arbeite ich an sechs oder sieben Kapitel, in denen die eine Hauptfigur vorkommt, und wechsle dann zu einem der anderen Handlungsstränge. Fügt sich das Buch erst einmal zusammen, ist es einfacher, von einer Szene zur nächsten zu springen.

MK: Was fasziniert Sie am Thriller-Genre?
SM: Das Verrückt ist, dass ich durch Zufall zum Thriller-Schreiben gekommen bin. Mein erster Roman, "The Third Person", beinhaltete Elemente verschiedener Genres, er war sowohl Krimi, als auch futuristisch, mit Horrorelementen und einer allgemein sich durchziehenden "Unheimlichkeit". Wie es der Zufall will, beschäftigte sich meine Verleger in England zu einer Zeit mit einer Krimi-Aktion und dachte, mein Buch würde sich gut als Teil davon machen. Dies bedeutete, von dem Zeitpunkt an, war ich Krimiautor. (Obwohl dies eigentlich nicht ganz richtig ist, denn erst bei "Der 50/50-Killer", meinem dritten Buch in England, habe ich mit dem "richtigen" Schreiben von zeitgenössischen psychologischen Thrillern begonnen.) Ich liebe dieses Genre. Ich bin von dunklen Themen fasziniert, und meiner Ansicht nach ist der Begriff "psychologischer Thriller" ein so breitgefächertes Feld, dass es alles das beinhaltet, woran ich derart interessiert bin, um darüber zu schreiben. Außerdem behandelt das Krimi-Genre alle großen Themen: Liebe, Verlust, Trauer, Macht, Rache, Erlösung. Nicht zu vergessen, dass es ein beliebtes Genre ist, was Verkaufs- und Werbemaßnahmen anbelangt. Ich kann mir nichts anderes vorstellen, als Thrillerautor zu sein.

MK: Wie hat sich Ihre Schreibleidenschaft bemerkbar gemacht?
SM: Ich denke, ich habe das von meinen Eltern geerbt. Als ich aufwuchs, waren wir eine relativ arme Familie, aber meine Mutter pflegte zu sagen: "Für Bücher ist immer Geld da", weswegen ich immer angeregt wurde zu lesen, und als ich dann ein wenig älter war, begann ich dann auch meine eigenen Geschichten zu schreiben. Von klein auf lernte ich, Bücher zu respektieren und wertzuschätzen, und bis zum heutigen Tag habe ich noch kein Buch bewusst weggeworfen. Ich gebe sie immer an Wohltätigkeitsläden. Bücher und Geschichten sind beides sehr wertvolle Dinge. So lange ich denken kann, ist der Beruf des Schriftstellers das, was ich immer machen wollte. Meine gesamte Schullaufbahn hindurch hatte ich nie andere Karrierepläne, und als ich schließlich die Universität abgeschlossen hatte, ging ich langweiligen Jobs nach, Tag für Tag, nur um mich abends dann auf das Schreiben konzentrieren zu können. Die Leidenschaft fürs Schreiben war immer schon präsent.

MK: Welche Autoren haben Sie beeinflusst?
SM: Da gibt es vermutlich hunderte! Diejenigen, die mir sofort einfallen, die mich beeinflusst hatten, als ich jung war, sind Autoren wie Stephen King und Dean Koontz. Und später würde ich als meine Lieblingsautoren noch Michael Marshall Smith; Graham Joyce; Mo Hayder; Christopher Priest; Tim Willocks; Diana Wynne Jones; Jack Ketchum; John Connolly; Thomas H. Cook; Jim Crace ... hinzufügen. Ich könnte diese Liste endlos weiterführen.

MK: Wie sieht ein Tag von Steve Mosby aus, wenn er nicht schreibt?
SM: Wahrscheinlich nicht so anders wie ein Tag, an dem ich schreibe. Gewöhnlich schreibe ich aber immer an etwas. Wenn ich nicht gerade an einem Projekt arbeite, fühle ich mich schlecht – Ich weiß einfach nichts mit mir anzufangen. Die Tagesabläufe haben sich geändert, als ich im Februar Vater geworden bin, daher ist es ein wenig schwierig, meinen normalen Aktivitäten nachzugehen. Aber ein ganz normal Standard-Tag würde so aussehen: früh aufstehen, sobald wie möglich mit dem Schreiben beginnen, viel Zeit im Internet verbringen, Nachmittag ein wenig Sport, anschließend einen guten Wein und ein tolles Abendessen. Ist eigentlich ein ziemlich einfaches Leben, aber ich fühle mich sehr wohl dabei.

MK: In "Tote Stimmen" gaukelt der Killer den Angehörigen seiner Opfer per E-Mail oder SMS vor, dass alles in Ordnung ist. Wie halten Sie Kontakt mit Ihrer Familie?
SM: Ganz schlecht! Ich bin nicht besonders gut darin, Kontakt mit Menschen zu halten. Ich versuche, meine Freunde so oft wie möglich zu treffen, obwohl das, seit wir unseren kleinen Sohn haben, alles ein wenig schwieriger geworden ist, wir sind also ein wenig... beschäftigt! Aber ich verbringe viel Zeit auf Facebook und Twitter, und versende von dort aus kurze Nachrichten an Freunde. Um es mit den Worten meines Buches zu sagen: "Ich bekenne mich schuldig..."

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