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Alberto Barrera Tyszka: Die letzten Tage des Comandante

Die letzten Tage des Comandante

von Alberto Barrera Tyszka
Verlag: Nagel & Kimche Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Belletristik
ISBN-13 978-3-312-00994-7

Preis: 22,00 Euro bei Amazon.de [Stand: 25. April 2024]
Glasklarer Blick auf das "Innenleben" eines Landes

"Wir zahlen Dir 100.000 Dollar"-
"Dafür, dass ich das Buch nicht schreibe"?
"Nein, im Gegenteil, wir zahlen dir 100.000 Dollar dafür, dass du das Buch schreibst".

Was den arbeitslosen Fredy außerordentlich verblüfft. Denn das Buch, das er über den abwesenden, in Kuba im Krankenhaus hermetisch unter Verschluss gehaltenen Chavez seit geraumer Zeit bereits abarbeitet, kann doch von diesen Leuten nicht gemeint sein. Nicht dieses kritische Buch. Eher hätte er mit Härte gerechnet, denn kritisch sein, das kommt nicht an in Venezuela unter Chavez.

Was auch Sanabria weiß. Der alternde Mann, der genug Zwist in der eigenen Familie schon erlebt, um seinen ausgleichenden Charakter noch mehr unter Spannung zu setzen. Sein Neffe im engsten Zirkel des Comandante, der mit dem Krebs ringt, seine Frau mit vorlauter Zunge, die jenem Chavez alles Mögliche an Schlechtem wünscht. Und dann diese Kiste, die sein Neffe ihm zur Aufbewahrung bringt. Mit sehr brisantem Inhalt, zumindest, was das öffentliche Bild des heldenhaft gegen die Krankheit ankämpfenden Herrschers über das Land angeht. Eine Kiste, die für eine amerikanische Journalistin bestimmt ist. Welche fasziniert von diesem Chavez, diesem Charisma, sich auf den Weg nach Venezuela macht, um den Mann zu portraitieren.

"Ich will ihn interviewen. Er hat Krebs".

In einem harten Alltag, in dem es Schutz auf den Straßen und selbst in den eigenen vier Wänden nur brüchig gibt. Wie Maria erfahren muss, die mit ihrer Mutter auf zu Fuß auf dem Weg ist. Bis dieses Motorrad vorbeikommt und der Beifahrer sich die Tasche der Mutter versucht, zu schnappen. Ein Land unter fester Hand, rumorend. Ein sozialistischer Herrscher, der von einem Teil des Volkes wie ein Messias gefeiert und vom anderen Teil ebenso glühend gehasst wird. Der sich an die Macht putschen wollte, selber einen Putschversuch überstanden hat. Ereignisse, die den Alltag zermürben, trotz aller Sozialprogramme, finanziert durch den Ölreichtum des Landes.

"Beatriz hatte schon immer gesagt, dass die Probleme des Landes nur auf eine Art zu lösen seien. Sie setzte den Zeigefinger auf die Stirn: Mit einer Kugel……" Der größte Fehler der jüngeren Geschichte sei es gewesen, Chavez nicht rechtzeitig zu töten.

Eine erodierende Gesellschaft in einem zu Grunde gehenden Land, in dem sich die Protagonisten mit ihren verschiedenen Zielen und Motiven mehr schlecht als recht versuchen, sich über Wasser und aus der Schußlinie zu halten. Und das, wo die Verhältnisse ja noch relativ stabil wirken, der Mann ist ja noch nicht tot, der Kampf um die Nachfolge noch nicht in aller Härte entbrannt. Eine Atmosphäre, die Tyszka mit glasklarer Sprache präzise benennt, in der er seine Protagonisten von den einfachen Dingend es Alltages wie Arbeitslosigkeit und damit der drohende Verlust der Wohnung bis hin den Fokus der Geheimpolizei führt. Und dem es im Lauf dieses Romans gelingt, tatsächlich auch, wie nebenbei, ein Portrait des Comandante zu entwerfen. Assoziativ, biographisch, in der Erinnerung der Menschen, die den Aufstieg an die Macht sehr verschieden wahrgenommen haben und sich Chavez damit auch sehr verschieden annähern. Eine sprachlich und atmosphärisch zu empfehlende Lektüre, die den Leser mitten hinein nimmt in dieses "unregierbare", "geschüttelte" Land Venezuela.
Fazit
"Genau das war Chavez gewesen: ein Soldat. Von seiner Natur aus, seinem Denken, seinem Gefühl. Er vertraute auf Uniformen, nicht auf die Vielfalt".
9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne

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Vorgeschlagen von Lesefreund [Profil]
veröffentlicht am 25. Oktober 2016

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