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Kate Atkinson: Das vergessene Kind

Das vergessene Kind

von Kate Atkinson
Verlag: Droemer Knaur [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Krimi
ISBN-13 978-3-426-50952-4

Preis: 1,86 Euro bei Amazon.de [Stand: 15. April 2024]
Kein klassischer Krimi und einer der eventuell etwas Durchhaltevermögen benötigt - doch es lohnt sich....

Die 1951 in York geborene britische Autorin Kate Atkinson ist Trägerin des britischen Verdienstordens MBE (Order of the Britisch Empire), der sowohl zivilen wie auch militärischen Personen sowie Bürgern nicht britischer Staaten verliehen wird. Atkinson, die Englische Literatur und Amerikanistik studierte, kam Mitte der 1980er zum Schreiben. Nach Erzählungen versuchte sie sich an Romanen, in denen die Figuren häufig mit Problemen kämpfen, die sie an die Grenzen ihrer Möglichkeiten bringen. Mit dem Roman Case Histories (Die vierte Schwester), erschuf die Autorin die Figur des Privatdetektivs Jackson Brodie und wandte sich dem Krimi-Genre zu, ohne direkt Krimis zu verfassen (Quelle Wikipedia). Dem 2004 erschienen Auftaktroman um den behäbigen Privatermittler folgten bis 2010 drei weitere Bücher. Die BBC verfilmte bislang die ersten drei Romane der Reihe. Der vierte Band Started early, took my dog erschien 2010. Die deutsche Übersetzung Das vergessene Kind wurde 2011 von Droemer als Hardcover und 2012 von Knaur als Taschenbuch herausgegeben. Der Roman erreichte unter anderem jeweils den dritten Platz beim Deutschen Krimi Preis International und auf der KrimiZEIT-Bestenliste. Außerhalb der Brodie-Reihe wurden von der Autorin seit 1995 vier weitere Romane, Kurzgeschichten, Erzählungen und ein Theaterstück veröffentlicht, die teilweise ebenfalls mit Preisen bedacht wurden.

Doch zum Roman, in dem eine ehemalige Polizistin sich damit überrascht, dass sie kurzerhand ein Kind kauft. Eigentlich nur, um dieses vor der vermeintlichen Mutter zu retten, die nicht nur drogensüchtig ist, sondern der bereits mehrere Kinder weggenommen wurden. Gleichzeitig beginnt Jackson Brodie in einem dreißig Jahre alten Fall zu recherchieren, an dem Tracy während ihrer Polizistenlaufbahn beteiligt war. Dieser unglückliche Zufall jagt Tracy zusammen mit ihrem schlechten Gewissen bezüglich ihres Spontankaufs in die Flucht.

Diese kurze Inhaltsangabe klingt genau, wie die auf der Buchrückseite, sehr strukturiert. Doch obwohl ich Atkinson nicht unterstellen möchte, ihren Roman unstrukturiert abgefasst zu haben, liest er sich längst nicht so glatt, wie ich das für gewöhnlich bevorzuge. Deshalb musste ich das Buch auch zwei Mal von vorne beginnen. Das lässt sich übrigens lesen, ohne dass man die Vorgängerbände kennt. Ich persönlich habe lange Zeit gar nicht registriert, dass ich einen Roman aus einer Buchreihe in Händen halte.

Die Autorin ist bereits dafür bekannt, dass sie mehrere parallele Handlungsfäden in ihren Geschichten verarbeitet, die sich lose durch ihre Plots ziehen und spät zusammengesponnen zu teils überraschenden Lösungen führen. Das wusste ich jedoch eingangs noch nicht. Hinzu kommt, dass sie überaus detailverliebt Worte aneinanderreiht, die erst einmal nichts zum eigentlichen Handlungsgeschehen beitragen, die Atmosphäre aber auch nicht zwingend verdichten. Kurze Kapitel, die sich von Anfang an immer wieder um eine andere Figur drehen, wirken wild zusammengewürfelt und ohne eigentlichen Zusammenhang. Dass Jackson Brodie die eigentliche Hauptfigur des Romans ist, fällt nicht auf, denn im Grunde kommen alle Figuren gleichermaßen ausführlich in ihrer Gedankenwelt beschrieben doch etwas blass daher. Vieles uferte anfangs so sehr für mich aus, als dass mich die eigentlich spannende Grundidee fesseln konnte. Das lag auch daran, dass lebendige Dialoge fehlen. LeserInnen erleben die Gedanken der Figuren als Monologe in deren eigenen Kopf mit. Das wirkt manchmal hölzern, enthält jedoch durchaus eine Art unterkühlter Komik. Und dann wiederum berührt es auf überraschende Weise, wenn man schon gar nicht mehr damit rechnet.

Die Geschichte spielt auf zwei Zeitebenen und wird aus zahlreichen Perspektiven erzählt. Sie beginnt im England der 1970er-Jahre, als Tracy gerade ihre Polizistenlaufbahn begonnen hat. Bei der Entdeckung einer ermordeten Prostituierten wird ein kleines Kind gefunden, das danach in der Versenkung verschwindet. Die zweite Zeitebene handelt 30 Jahre später. Tracy ist längst aus dem Polizeidienst ausgeschieden, arbeitet als Warenhausdetektivin, lebt alleine - bis eben zu jenem Tag, an dem sie das kleine Mädchen kauft. Dazu gesellen sich die Handlungsstränge um eine demente Schauspielerin, um eine Sozialarbeiterin, um diverse Polizisten. Und um Jackson Brodie selbst, der herauszufinden versucht, woher seine australische Auftraggeberin kommt, die offenbar in den 1970ern in England geboren wurde, gleichzeitig offiziell aber gar nicht zu existieren scheint.

Es dauerte geraume Zeit, bis ich mich auf Atkinsons Schreibstil einstellte und plötzlich dabei ertappte, wie ich neugierig die Seiten umblätterte. Erzählfragmente begannen sich unspektakulär, aber unaufhaltsam, vor meinen Augen zusammenzufügen. Die auf den ersten Blick wild zusammengewürfelten Figuren sind alle miteinander durch mehr als ein Drama, mehr als ein Geheimnis, mehr als einen Mord, mehr als eine unglückliche Familie und trostlose Lebenswege sowie unerfüllte Träume oder Lebenslügen verbunden. Atkinsons Charaktere gehören samt und sonders nicht zu den Gewinnern. Sie lässt sie einiges durchmachen und geht nicht sonderlich zartfühlend mit ihnen um. Dafür stimmt sie sie sukzessive aufeinander ab. Unversehens ertappte ich mich dabei, wie ich mit ihnen gefühlt, gelitten und gehofft habe.

Der Roman ist zugegebenermaßen nicht ganz ohne Längen, die man vor der Kulisse menschlicher Tragödien und Abgründe nicht erwartet. Dennoch kam das Ende letztlich viel zu schnell. Obwohl dabei längst nicht alle Handlungsfäden schlüssig abgeschlossen werden (vielleicht weil der Roman eben doch Teil einer Reihe ist?), wirkt der Roman nicht unbefriedigend unvollendet.
Fazit
Eine nicht ganz einfache, gesellschaftskritische Geschichte, bei der sich Durchhalten lohnt. Wer schnelle und vor allem einfach strukturierte Handlungsentwicklungen bevorzugt, dem rate ich, die Finger vom Buch zu lassen. Wer auf reißerisch-blutige Passagen hofft, wird sie in diesem Krimi auch nicht finden. Dafür regt Atkinsons Roman leise und unaufgeregt zum Nachdenken an und wird sicherlich nicht der Letzte sein, den ich von dieser Autorin lese.

Copyright ©, 2013 Antje Jürgens (AJ)
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Vorgeschlagen von Ati [Profil]
veröffentlicht am 02. März 2013

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