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Jockel Tschiersch: Rita und die Zärtlichkeit der Planierraupe

Rita und die Zärtlichkeit der Planierraupe

von Jockel Tschiersch
Verlag: Goldmann Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Belletristik
ISBN-13 978-3-442-31281-8

Preis: 9,85 Euro bei Amazon.de [Stand: 18. April 2024]
Ein Allgäuer Roadmovie

Das jemand sich auf ein exotisches Fortbewegungsmittel, z.B. einen Traktor setzt und sich zu einem fernen Ziel hin aufmacht, dass ist nichts weltbewegend neues. Wie aber Jockel Tschiersch seine Charaktere im Buch Schritt für Schritt in der Tiefe ihrer Persönlichkeiten "entblättert" und damit zwei grundsätzliche Kräfte der menschlichen Entwicklung (jene nach einem "weiter als das, was ist" und jene der "Befriedung der eigenen Wurzeln") in unterhaltsam lesbarer Form und durchaus berührend ihren Weg "mit der Raupe" finden lässt, dass ist im Rahmen der Roadmovies durchaus von Qualität.

Nicht nur Ewald, Bauarbeiter, Raupenfahrer, Analphabet, mit einer fordernden Mutter geschlagen (bei der er noch wohnt) überrascht sein Umfeld (und den Leser) mit vielfacher philosophischer "Tiefeneinsicht" in das Leben, auch alle anderen Figuren des Romans sind, bis in die Nebenfiguren hinein, mit Liebe zum Detail und überraschenden Wendungen ausgestattet. Eingebettet in ein allgäuer Lokalkolorit, welches in bester Weise dem Roman Atmosphäre gibt, ohne aufdringlich den Ablauf zu stören.

Der Kiesgrubenbesitzer Karl Zwerger (nomen est omen), auch nur einer, der verzweifelt echtes Leben sucht statt der nicht wirklich erfüllenden Lebensweise als "Chef im Dorf", sitzend im "gemachten Nest". Auch das dicke Steak beim Lieblingsitaliener kann ihn da nicht auf Dauer innerlich beruhigen. Seine Frau, aus der Form geraten, einige Zeit durchaus leicht debil wirkend, entpuppt sich als echte Unternehmenstochter und versteht es schon längst insgeheim, sich nicht völlig von ihrem wankelmütigen Mann abhängig zu machen (der gerade seine Insolvenz vortäuschen will und ihr mit Scheidungspapieren kommt). Rita, die Sekretärin und Geschäftsführerin in einem kommt durchaus kurz ins Wanken, ob es nicht angenehm wäre, mit ihrem Chef und Liebhaber an ferne Ufer auszubrechen.

Doch alles kommt anders. Eine Insolvenz ohne vollständigen Fuhrpark? Das geht nicht. Aber wo ist die kleine Fiat Planierraupe? Nun, es wird sich herausstellen, dass Ewald, der Maschinenversteher und Planiermeister, sich auf den Weg gemacht hat. Vordergründig nach Mecklenburg Vorpommern zur deutschen Meisterschaft der Planierraupen, eigentlich aber hinaus in das, was ein eigenes Leben sein könnte und was er sich nicht wieder einfach wegnehmen lassen will. Er, der nur als Depp gilt und von allen Seiten her schmerzhaft bereits vorgeführt wurde (vor allem in einem Bauwagen auf dem Marktplatz).
Umgehend setzt Karl Zwerger Rita in seinen geliebten Porsche mit dem Auftrag, die Raupe wieder vor Ort zu bringen.
Doch auf all diesen Wegen kommt dann doch alles ganz anders, was nicht nur der Porsche leidvoll zu spüren bekommen wird. So anders, dass selbst das Ende des Weges zwischen Karl, Ewald und Rita nicht wirklich absehbar sein wird.

Eines verbindet alle diese Personen zutiefst. Am Ende des Buches werden sie nicht mehr die sein, die sie zu Anfang waren. Nicht bei allen wird sich diese Entwicklung zum Besten auswirken, aber eines macht Tschiersch im Buch sehr deutlich: Niemand kann in seinem Leben ungestraft sich seinen inneren Wünschen und Entwicklungen verschließen. Auch nicht auf Kosten anderer. Es braucht Ziele für den eigenen Weg, den Mut, dafür das sattsam bekannt Umfeld auch einmal zu verlassen und es braucht ebenfalls den Mut, sich dem zu stellen, woher man kommt, also auch zurückzukehren. Gerade wenn dieser fehlt, enden viele Wege im Nichts (wie Heinz, der LKW Fahrer leidvoll in die Seiten des Buches setzt.)
Fazit
Weniger eine Satire (auch wenn durchaus mit Humor hier und da geschrieben), eher ein nachdenklich stimmendes Stück Entwicklungsgeschichte ist es, welche Jockel Tschiersch in klarer und kraftvoller Sprache dem Leser vor Augen führt. Eine Geschichte, das die stetige Kraft einer (inneren) Planierraupe im Leben mehr bewirkt als kurzfristige Energieschübe und Fluchtreflexe, die doch nur versickern, wenn sie rein oberflächlich verbleiben.
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Vorgeschlagen von Lesefreund [Profil]
veröffentlicht am 02. März 2012

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