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Klaus Pohl: Die Kinder der preußischen Wüste

Die Kinder der preußischen Wüste

von Klaus Pohl
Verlag: Arche Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Belletristik
ISBN-13 978-3-7160-2656-4

Preis: 19,71 Euro bei Amazon.de [Stand: 20. April 2024]
Dichterrebell

Es ist schon eine ganz besondere Lebensgeschichte, jene des 2001 gestorbenen Dichters und Dramatikers (auch Drehbuchautors und Regisseurs) Thomas Brasch, welche Klaus Pohl seinem Roman zu Grunde legt. Ein Roman nach tatsächlichen Begebenheiten und doch mit literarischer Prägung, die ihn weit mehr sein lässt als eine reine Biographie.

Jener "Robert Papst", den Klaus Pohl als Protagonisten zum Dreh- und Angelpunkt der Lebensgeschichte von Thomas Brasch im Buch gestaltet, wird späterhin eingeladen, gebeten, seine Autobiographie zu verfassen. Ein Projekt, das er zwar annimmt, aber nicht umsetzt, sondern sich stattdessen der Lebensgeschichte eines Mörders verschreibt, eines Mädchenmörders (die von Brasch tatsächlich als Buch später veröffentlicht wurde, nachdem von fast 10.000 Seiten Manuskript gut 220 nur nach Bearbeitung durch den Verleger übrig blieben) und verliert sich quasi in sich selbst in dieser Zeit.

Thomas Brasch war ein literarischer Rebell, der auch im Lebens einen ganz eigenen Weg zu gehen gedachte. Einen Weg, der ihn in direkte Konfrontation mit seinem Vater brachte und damit, schlimmer, in direkte Konfrontation mit dem System der ehemaligen DDR, welchem der Vater als Kulturminister voller Überzeugung angehörte. Da, wo seine Mutter freudig erregt "Endlich! Endlich!" ruft. "Endlich haben sie zugemacht! Endlich haben wir jetzt die Tür zugeschlagen", angesichts des Mauerbaus, da ist der Robert Papst des Buches schockiert, der Kopf will fliehen, doch die Beine gehen nicht die entscheidenden Schritte. Eine Zurückhaltung aus welchen Gründen auch immer, die durchaus Folgen für Robert Papst haben wird. Er, der Volksversammlungen hasst, dessen Vater an vorderster Front mit dabei ist, er, der in innerer Spannung lebt (die ihn zeitlebens kaum wirklich verlassen wird). Er, der sagen kann: "Ich muss meinen Vater töten. Aussichtslos. Ich liebe ihn doch mehr, als ich ihn hasse". (ein späteres Buch des Thomas Brasch trug sinnigerweise den Titel: "Vor den Vätern sterben die Söhne").

Die äußeren Stationen des weiteren Ergehens mögen nüchtern benannt werden können. Wie Brasch im wahren Leben wendet sich Probst im Buch gegen das Zentralkomitee, wird zur Zwangsarbeit verurteilt (in der "preußischen Wüste" nahe der polnischen Grenze, Straßenbau), gab nicht auf, war weiterhin politisch aktiv, lebte zusammen mit einer der führenden Sängerinnen der damaligen DDR, wurde wiederum verhaftet und zu Gefängnis verurteilt, schrieb erste Dramen (meist gar nicht erst aufgeführt, ansonsten schnell wieder om Spielplan genommen) und reiste 1976 nach Westdeutschland aus (bzw. wurde abgeschoben, das trifft es sicherlich eher im Umfeld der Ausbürgerung Wolf Biermanns).

Äußere Stationen, die nun durch Klaus Pohl mit Leben gefüllt werden. Welche die Persönlichkeit eines Mannes Seite für Seite aufblitzen lassen, der sich "in keinem Leben einrichten kann, zu allem stellt er sich in Widerspruch. Er nimmt keine Rücksicht, auf keinen". Eine Rücksichtslosigkeit, die im Buch verdeutlicht, dass sie auch vor dem eigenen Leben keinen Halt macht. Alkohol, Schwierigkeiten in Beziehungen fast jeder Art, eine Persönlichkeit, die sich auch in seinen oft sperrigen Stücken und Texten niederschlagen.

So ist dieser Roman von Klaus Probst tatsächlich jenes Buch, das Thomas Barsch selber nicht verfasste, eine "quasi Autobiographie" anhand der Kunstfigur Robert Papst. Ein Stück Zeitgeschichte sicherlich der DDR im Blick auf staatstragende und staatskritische Personen, auf Verhältnisse, Bedrängung und Verurteilung, aber auch ein Stück kultureller Zeitgeschichte natürlich der Bundesrepublik ("Ein Taumel durch das Höllenfeuer der Eitelkeiten"). Mehr noch aber ein Einblick in ein lebensbestimmendes Sohn-Vater Verhältnis und in eine unruhige Seele, die letztlich Zeit ihres Lebens nie wirklich Frieden gefunden hat.
Ein biographischer Roman, der seine Qualität vor allem dadurch erhält, dass Pohl eben von außen auf Brasch blickt und es versteht, die Brüche der Person literarisch umzusetzen und herauszuarbeiten.
Fazit
Klaus Pohl schreibt mit klarer, teils kantiger Sprache, benutzt an manchen Stellen nur mehr Schlagworte, um das Werk und den (durchaus) Erfolg des Literaten Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre zu beschreiben. Einer, der weniger aus rationaler Überzeugung (das auch), mehr aber noch aus innerem Zwang stur seinen Weg ging, geschildert in einer Sprache, die ebenso kantig literarisch umsetzt, was die Person des zu Grunde liegenden Thomas Barsch ausmachte.
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Vorgeschlagen von Lesefreund [Profil]
veröffentlicht am 23. Oktober 2011

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