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Walther Kohl: Leben oder gelebt werden

Leben oder gelebt werden

von Walther Kohl
Verlag: Integral [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Biografie
ISBN-13 978-3-7787-9204-9

Preis: 16,90 Euro bei Amazon.de [Stand: 17. April 2024]
Wege aus dem Schatten heraus

Helmut Kohl ist noch in guter Erinnerung, nicht nur als Kanzler der Einheit, sondern auch als einer, der über 16 Jahre als Kanzler der Bundesrepublik sich vor allem anderen auch ein gewiefter, in Teilen rücksichtsloser Machtpolitiker erwiesen hat, mit dem als Gegner nicht gut Kirschen essen war. Einer mit einem intuitiven Gespür, sich darzustellen und andere in den Schatten zu stellen. Davon können eine ganze Reihe ehemals prominenter und in Machtpositionen sich befindender Politiker gerade der CDU ein lautes Lied singen.

Eine starke, auf sich bezogene, machtorientierte und machtbewusste Person. Ein Bild des Altkanzlers, das sich beim Lesen der Autobiographie seines Sohnes durchaus verdichtet. Auch ein Übervater, einer, der eine breite Schneise schlug und dabei, nicht allein ob der Körperfülle, auch viel Schatten um sich herum verbreitete.

Eie sehr persönliche Ebene ist es, auf der Walter Kohl seine Geschichte erzählt und, das vor allem, keine verbitterte oder dem Vater lebenslang nachtragende Haltung offenbart er in seinen Zeilen. Ganz im Gegenteil, der Untertitel weist in seiner Formulierung "Schritte der Versöhnung" die eigentliche Richtung seiner Gedanken und auch die Art und Weise seiner Beschreibungen sprechen eine Sprache der feinfühligen Zurückhaltung, ohne das Wesentliche außen vor zu lassen. Nicht dem Vater macht der Sohn hier ellenlange Vorwürfe, sondern den eigenen Weg zunächst hinter dem überstarken Helmut Kohl beleuchtet Walter Kohl und legt sensible, persönlich und zeitweise anrührend seine Einsichten und Erkenntnisse offen, die es brauchte, um den ganz eigenen Weg zu finden. Schritte zur Versöhnung auch mit sich selbst. Vor allem.
Ein eigener Weg, der sich eben nicht entweder unkritisch aus den Fußstapfen des Vaters ergibt und eben auch nicht in prinzipieller Ablehnung allein im Trotz verharrt. Es gibt genügend andere Beispiele der Gegenwart, vielleicht ist ein Blick auf den Strauß Sohn hilfreich, die zeigen, wie leicht es ist, an der Figur eines mächtigen und durchsetzungsfähigen Vaters und Politikers zu scheitern. Auf diesem eigenem Weg aber spricht Walter Kohl durchaus offen über sein persönlich lange Zeit nicht einfaches Verhältnis zu Helmut Kohl, auch den vollzogenen Bruch verschweigt er nicht.

Nach der Lektüre dieses Buches weiß man auf jeden Fall, wunderbar erzählt, was es heißt, im Schatten eines Vaters auch in den Augen der anderen fast zu verschwinden. Der Weg einer Selbstwerdung, der nicht zuletzt 2001 durch den Freitod seiner Mutter noch einmal und intensiv angestoßen wurde.

Schon die ersten Zeilen und Seiten offenbaren in der Beschreibung dieses Schocks für Walter Kohl seine außerordentliche sprachliche Fähigkeit, die Empfindungen und Gedanken seines inneren präzise und einfühlsam, mit klaren Worten und dennoch sensibel formuliert, nahe zu bringen. Eine auch sprachliche Qualität, die Kohl im ganzen Buch durchhält und die das Lesen zu einem Erlebnis gestalten. Und ein mitnehmendes Zeugnis, wenn Walter Kohl sich grundlegend und zutiefst alleine fühlt angesichts des Todes der Mutter. Kaum vorhandene, innere Bande zu einem Vater, den Walter Kohl im alltäglichen Leben als "entrückt" beschreibt. Einem Leben, in dem alle praktischen Dinge des Alltages bis zum TÜV des Autos von Hannelore Kohl gemanagt wurden, wie es der Altkanzler eben gewohnt war. Einer, der bei Umbaumaßnahen im Haus einfach für eine Weile auszog und seiner Frau überließ, die Dinge zu regeln, damit er in seiner Arbeit nicht gestört wurde. Bei weitem nicht die einzige Funktionalisierung seiner Familie, die Helmut Kohl öffentlichkeitswirksam betrieb.
Fazit
Walter Kohl legt einen offen Blick auf sein inneres Erleben vor und beschreibt einerseits eine "Reise zu sich selbst" und andererseits vielfache Ursachen, Hintergründe und Schwierigkeiten eines Umganges auch mit der privaten Persönlichkeit seines Vaters, die als Ursachen dafür einleuchtend im Raume stehen, dass ein solcher "Weg zu sich selbst" in dieser Form überhaupt nötig wurde.
Einfühlsam, sensibel und ohne Verbitterung geschrieben ist dieses Buch ein eindrucksvolles, anrührendes und innerlich mitnehmendes Zeugnis eines Lebens, dass erfolgreich zu sich selber gefunden hat und eine Darstellung eines Stücks auch deutscher Zeitgeschichte durch die Augen der Altkanzlerfamilie.
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Vorgeschlagen von Lesefreund [Profil]
veröffentlicht am 15. März 2011

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