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Catherine O'Flynn: Der vierte Versuch

Der vierte Versuch

von Catherine O'Flynn
Verlag: Arche Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Belletristik
ISBN-13 978-3-7160-2645-8

Preis: 4,75 Euro bei Amazon.de [Stand: 28. März 2024]
Sensibel für das Vergehende

Den 23. Psalm hat Frank Allcroft in ganz eigener Weise für sich erschlossen. Seiner Meinung nach gelten die Worte dem Hirten als Trost, dass die Herde gut versorgt ist, nicht der Herde als Sicherheit. Und irgendwie passt das, denn Frank ist so etwas wie ein Hirte.

Er selbst würde das natürlich nicht für sich in Anspruch nehmen, aber in vielen Fällen kann er einfach gar nichts dagegen unternehmen. Wenn sein Inneres angesprochen wird, dann lässt es ihn nicht mehr los. So, wie er bei Dorothy Ailings Tod es nicht vermochte, die Gedanken an diese im Nichts vergehende Existenz aus dem Kopf zu verbannen. Als Fernsehmoderator eines lokalen Senders hatte er kurz über diesen anonymen Tod berichtet, war auf der Beerdigung und ist seitdem immer wieder auf der Suche nach solchen Menschen, die ohne Freundes- oder Verwandtenkreis sterben. So manche Beerdigungen hat er bereits besucht, manche Blumen abgelegt und damit einen Rest an Erinnerung in den Raum gesetzt.

Aber nicht nur auf dieser etwas skurrilen Ebene hat er ein weiches Herz. Als Moderator ist er bei den Zuschauern fast schon Kult, weil er, der Witze einfach nicht erzählen kann, in fast jeder Sendung nicht nur einen Witz schlecht erzählt, sondern der Witz selber unglaublich schrecklich ist. Was keiner der Zuschauer ahnt ist, dass Frank dem Erzeuger der Witze gegenüber einfach nicht nein sagen konnte, als dieser in Tränen aufgelöst vor ihm stand und sich als Gaglieferant andiente. So enttäuscht Frank den Mann lieber nicht und erzählt stoisch unlustige Witze. Ein Hirte eben, einer der bewahrt, der nicht enttäuscht, der im Bewusstsein halten will, was droht, einfach im Mahlstrom des Vergessens abhanden zu kommen.

Frank Allcroft ist ein sensibler Melancholiker, der nicht zur Depression neigt, durchaus aber ist er ein feinfühliger Mensch. Sei es seiner Mutter gegenüber, die nach dem frühen Tod des Vaters bereits in recht jungen Jahren die Lebensfreude schlichtweg aufgegeben hat und nun eine der jüngsten Bewohnerinnen einer Seniorenresidenz ist, die jeden der Besuche von Frank, seiner Frau und seiner Tochter zu einer Tortur gestaltet. Sei es seine Melancholie im Anblick von Abrissarbeiten an Häusern, die sein Vater, der Architekt, einst baute. Sei es eben, wenn ein Mensch stirbt und niemand ihn zu kennen schien. Sich selbst gegenüber aber ist und bleibt Frank unprätentiös, den schönen Dingen des Lebens gegenüber fast unempfindlich, soweit es sich nicht um seine geliebte Frau oder seine Tochter handelt.

Einer dieser anonymen Toten nun trägt ein ganz besonderes Geheimnis. Jener Michael schien ein enger Freund seines Vorgängers als Moderator beim Sender gewesen zu sein, dass allseits beliebten und allgegenwärtigen Phil. Aber wie hingen jene beiden grundverschieden lebenden Männer zusammen? Was war das für eine Freundschaft und was machte diese Freundschaft aus? Fragen, die im Dunkeln liegen, Fragen, denen Frank Allcroft mit immer mehr Zeit und Energie beginnt, nach zugehen. Mit ganz erstaunlichen Ergebnissen.
Fazit
Catherine O'Flynn schreibt leise und einfach nicht aufdringlich. Aber mit einer ungeheuren Präsenz, was ihre Figuren angeht. Genauso sensibel, wie sie ihre Figuren anlegt, bringt sie diese in feinen Verästelungen dem Leser nahe und führt im Lauf der Geschichte mit dieser Haltung und den Handlungssträngen den Wert des Vergangenen vor Augen und die Melancholie das Dahinwelkens. Das Gewesene zu bewahren, zumindest aber seinen Verlust angemessen zu bedauern, dafür steht nicht nur Frank Allcorft in diesem wunderbar und empathisch erzählten Roman, dafür stehen auch die anderen Figuren, die Gebäude, selbst die schalen Witze noch, die Frank erzählt.
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Vorgeschlagen von Lesefreund [Profil]
veröffentlicht am 07. Februar 2011

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