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Friedrich Dürrenmatt: Der Verdacht

Der Verdacht

von Friedrich Dürrenmatt
Verlag: Steinbach Sprechende Bücher [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Hörbuch
ISBN-13 978-3-88698-524-1

Preis: 12,42 Euro bei Amazon.de [Stand: 28. März 2024]
Zuerst möchte ich sagen, dass Friedrich Dürrenmatt einer meiner absoluten Lieblingsautoren ist. Ich bewundere seinen messerscharfen Blick auf die Menschen und speziell auf die menschlichen Fehler. Bei diesem Buch handelt es sich um einen Kriminalroman. Es geht aber nicht darum, zu ergründen, wer das Verbrechen begangen hat, denn dies ist dem Leser sehr bald klar. Vielmehr geht es darum die Motive und die Persönlichkeiten des Täters und seiner Helfershelfer zu beleuchten.

Zur Handlung: Im November 1948 liegt der alte Kommisär Bärlach im Berner Salemspital, er hat eine Krebsoperation hinter sich und die Ärzte gehen davon aus, dass er nicht mehr lange leben wird, vielleicht noch ein Jahr. In der medizinischen Zeitschrift "Life" entdeckt Bärlach das Foto des KZ-Arztes Nele, der sinnlose Operationen an Häftlingen ohne Narkose durchführte. Angeblich hat dieser Arzt nach dem Krieg Selbstmord begangen. Bärlach beobachtet, dass sein eigener Arzt Hungertobel überraschend entsetzt auf dieses Foto reagiert. Schließlich gibt Hungertobel zu, dass er glaubte, auf diesem Foto seinen ehemaligen Kollegen Emmenberger erkannt zu haben. Allerdings versteift sich Hungertobel darauf, dass es Emmenberger nicht gewesen sein kann, da dieser während des Krieges in Chile gelebt und gearbeitet habe. Inzwischen leitet Emmenberger die Klinik Sonnenstein, eine Klinik, in der die besonders reichen Todkranken behandelt werden.
Für Kommisär Bärlach (und den Leser) ist allerdings klar, dass Emmenberger und Nele während des Krieges die Identitäten getauscht hatten, dass Emmenberger sehr wohl der KZ-Arzt Nele war. Jetzt will es sich Kommisär Bärlach (aufgrund seiner Krankheit und seines Alters pensoniert) zur Aufgabe machen, Emmenberger zu überführen. Zu diesem Zweck lässt er sich selber unter falschem Namen in die Klinik Sonnenstein einliefern.
Bärlachs Taktik ist, Emmenberger subtil zu bedrohen, ihn aus der Ruhe zu bringen, so dass er sich verrät. Zu diesem Zweck bringt er den Schriftsteller Fortschig dazu, in seiner selbstverfassten Zeitung einen Arzt (ohne den Namen zu nennen) als KZ-Arzt bloßzustellen. Ausserdem erwähnt Bärlach in Emmenbergers Anwesenheit seine Absicht, einen bestimmten Verbrecher des 3. Reichs zu jagen. Allerdings unterschätzt er die Kaltblütigkeit Emmenbergers. Dieser durchschaut Bärlach sehr schnell, und beschließt daher, dass er Bärlach ebenfalls töten wird.

Worin genau bestand das Verbrechen Emmenbergers? Er operierte, wie viele andere KZ-Ärzte, Häftlinge ohne Narkose. Die Operationen waren sinnlos, die Häftlinge starben qualvoll. Das Perverse daran aber war, dass Emmenberger nur Freiwillige operierte, Freiwillige, die zudem zuvor solche Operationen mitansehen mussten. Warum meldeten sich die Häftlinge freiwillig? Sie bekamen das Versprechen, in ein KZ mit höherer Überlebenschance versetzt zu werden, falls sie die Operation überleben würden. Nach dem Krieg führt Emmenberger seine Verbrechen im Sonnenstein fort, die Reichen lassen sich quälen, weil sie sich erhoffen, auf diese Weise etwas länger zu leben.
Wer unterstützt Emmenberger? Da ist zum einen die Schwester Klärli, die offensichtlich geistig ziemlich krank ist. Sie kennt die Verbrechen Emmenbergers, meint aber ihm wäre verziehen worden, weil er inzwischen aus Liebe zum Menschen tötet. Die Schwester Klärli hat eine Abhandlung über den Tod verfasst, sie meint, durch diese Abhandlung wäre der Arzt ein anderer Mensch geworden.
Am wichtigsten ist wohl die schöne Ärztin Dr. Edith Marlok. Sie ist die Geliebte Emmenbergers. Zu Bärlachs Entsetzen war sie im KZ Stutthof inhaftiert. Früher war sie überzeugte Kommunistin, wollte die Welt retten. Jetzt lebt sie nur noch für ihr tägliches Morphium und glaubt nicht mehr an das Gute.
Des weiteren gibt es einen rätselhaften Zwerg. Er war ebenfalls im KZ Stutthof inhaftiert und sollte getötet werden. Emmenberger hat ihn aber dazu abgerichtet, ihm zu gehorchen und für ihn zu morden.

Wer unterstützt Bärlach? Der Arzt Hungertobel hilft ihm, jedoch will er einfach nicht glauben, dass ein derartiger Teufel wie der KZ-Arzt Nele noch ungestraft am Leben sein kann. Der wichtigste Helfer (und Lebensretter) ist jedoch ein für tot erklärter Jude und ehemaliger KZ-Häftling, der jetzt unter dem Namen Gulliver auftritt. Gulliver ist der einzige Überlebende von Emmenbergers Operationen. Als Bärlach von ihm Informationen über den Arzt Nele haben möchte, ahnt Gulliver, dass Nele noch am Leben sein muss. Von nun an beobachtet Gulliver Bärlach, verfolgt seine Strategie gegen Emmenberger mit.

Im letzten Streit zwischen Bärlach und Emmenberger, als Emmenberger Bärlach eröffnet, dass er ihn ermorden wird (und Hungertobel töten lassen will), offenbahrt Emmenberger seine Überzeugung: Er glaubt an keine Ideale. Für ihn gibt es nur die Materie und es spielt keine Rolle, in welcher Form die Materie auftritt (ob als Mensch, Tier, Pflanze, Stein,...) Es gibt für ihn keine Gerechtigkeit. Es gibt nur die Freiheit, die man sich allerdings nicht verdienen kann, weil es dazu nämlich Gerechtigkeit geben müsste. Freiheit sei der Mut zum Verbrechen, Emmenberger fühlt sich nur in den Augenblicken frei, wenn er foltert und tötet.
Jetzt möchte Emmenberger an Bärlach nochmal den gleichen Sadismus ausleben, den er an seinen Opfern im KZ ausgelebt hat: Er bietet Bärlach an, ihn zu verschonen, wenn dieser ihm eine genauso starke Überzeugung sagen kann. Bärlach erkennt offensichtlich Emmenbergs Motiv für dieses Angebot und schweigt. Emmenbergers Forderung wird immer drängender, doch Bärlach schweigt weiterhin. Ich meine, dass er damit bewusst dem perversen Arzt die Befriedigung versagen will.

Zuletzt lässt Emmenberger ihn für ein paar Stunden allein. In dieser Zeit gelingt jedoch Bärlachs Rettung durch den Juden Gulliver. Bärlach kann von seinem Arzt Hungertobel aus der Klinik abgeholt werden, Gulliver tötet Emmenberger und verschwindet gemeinsam mit dem Zwerg.

Ich halte dieses Hörbuch für ein sehr starkes Werk Dürrenmatts. Das Beste sind zwei Gespräche: Das erste zwischen Bärlach und Dr. Marlok, bei dem Bärlach die traurige Wahrheit über die Ärztin erfährt. Das zweite ist das letzte Gespräch zwischen Bärlach und Emmenberger. Jedoch muss ich sagen, das die Sprache in diesen Dialogen nicht so einfach und geradlinig ist, wie ich es von anderen Werken Dürrematts kenne. Teilweise ist die Sprache hier sehr schwierig und poetisch. Es ist nicht die Sprache, die die Personen im wirklichen Leben benutzt hätten.
Der letzte Triumph des Guten (der Sadist Emmenberger wird getötet, Bärlach wird gerettet) vermittelt einen gewissen Optimismus, die Moral, dass das Gute siegen wird. Ich frage mich, ob das Buch nicht noch stärker geworden wäre, wenn der böse Emmenberger ungestraft davongekommen wäre (wie viele Nazi-Kriegsverbrecher in der Realität). Allerdings hätte ein derartiges Ende bei mir einen ziemlich bitteren Nachgeschmack hinterlassen, diese sehr grausame Geschichte ist leichter zu verdauen, wenn sie gut endet.
Fazit
Insgesamt eine gelungene Hörbuchumsetzung, die die Frage nach Fortsetzung der Dürrenmattschen Reihe aufwirft. Insbesondere die Lesung in verteilten Rollen ist großartig inszeniert und lässt den Hörer gebannt am Kassettenrecorder sitzen, bis der letzte Dialog gesprochen wird.
8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne
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Vorgeschlagen von Peter Bahner [Profil]
veröffentlicht am 02. April 2003

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