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Rüdiger Safranski: Romantik: Eine deutsche Affäre

Romantik: Eine deutsche Affäre

von Rüdiger Safranski
Verlag: Carl Hanser Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Sachbuch
ISBN-13 978-3-446-20944-2

Preis: 30,00 Euro bei Amazon.de [Stand: 28. März 2024]
"Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es."

Diese Definition des Romantischen stammt von Novalis und ist nach Ansicht des deutschen Philosophen Rüdiger Safranski, der bereits mehrere große Biographien, u.a. über Schopenhauer, E.T.A. Hoffmann, Nietzsche, Heidegger und zuletzt über Friedrich Schiller vorgelegt hat, die beste Beschreibung jener typisch deutschen Epoche deutscher Geistes-, Philosophie- und Literaturgeschichte, die etwa zwischen 1790 und 1830 anzusiedeln ist, jedoch bis heute Nachwirkungen - gerade auch in der Aufarbeitung der geistes- und mentalitätsgeschichtlichen Voraussetzungen für den Nationalsozialsozialismus - zeitigt. Die Frage, ob die Romantik als deutscher Sonderweg zu kennzeichnen ist, der in letzter Konsequenz zu Hitler führte, ist bis heute umstritten. Es war der Philosoph uönd Soziologe Helmuth Plessner, der bereits in den 1930-ger Jahren in seinem 1959 wieder aufgelegten Buch: "Die verspätete Nation" diese These aufgestellt hat. Seines Erachtens lag die wesentliche Differenz zwischen den Deutschen einerseits und den Völkern des alten Westens darin, dass letztere ihre nationalstaatliche Basis im 16. und 17. Jahrhundert gefunden hatten und auf diese Basis als "goldenes Zeitalter" zurückblicken konnten. Dies konnten die Deutschen nicht. Der Nationalstaat wurde erst viel später - 1871 - gegründet und so musste die Blütezeit des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation die Stelle des "goldenen Zeitalters" der Deutschen einnehmen. Aufgrund dieser Zeitverschiebung wurde nicht das Zeitalter der Aufklärung, sondern deren Gegenbewegung, die Romantik, in Deutschland bedeutungsvoll für die nationale Integration. Auch Karl Dietrich Bracher hat diesen Zusammenhang immer wieder betont. In seinem - bis heute bahnbrechenden - Werk: "Die deutsche Diktatur" zitiert er den romantischen Staatsphilosophen Adam Müller, der schon 1809 die unlösliche, unentrinnbare Gebundenheit des Menschen an den Staat betont hat und damit die Wendung zur konservativ-machtstaatlichen, antiliberalen und antiaufklärerischen Staatsideologie Ausdruck verliehen hat. Nachdem die französische Revolution von deutschen Schriftstellern und Intellektuellen zunächst begrüßt worden war, wandten sie sich - unter anderem Goethe und Schiller - von dieser Revolution wieder ab, als sie anstelle der ersehnten Freiheit ein jakobinisches Terrorregime brachte. Die Freiheitskriege gegen Napoleon führten zu einer Begründung des deutschen Nationalgefühls, das sich im Kampf gegen den Westen und westliche Werte definierte. Sie diente pratriotischen Publizisten wie Ernst Moritz Arndt als Begründung eines deutschen Nationalgefühls von unbedingtem, einzigartigen und fast religiösem Anspruch. In dieser Zeit wuchs und vertiefte sich also die Kluft zwischen westlichem und deutschem Staatsdenken. Höhepunkt dieser Entwicklung war die Tatsache, dass die Nationalsozialisten am 14. Juli 1933, dem Jahrestag des Sturms auf die Bastille, des französischen Nationalfeiertages, die noch existierenden Parteien aus der Weimarer Republik endgültig verboten und somit - nach ihren eigenen Worten - die liberale Freiheitstradition der Französischen Revolution - für die aus Sicht der Nationalsozialisten die bisherige Demokratie der Weimarer Republik das Symbol war - beendeten, um ein neues "tausendjähriges Reich" zu schaffen, welches in der antiaufklärerischen deutschen Staatstradition stand. Dies ist der Inhalt der bis heute andauernden Debatte und Kontroverse über den "deutschen Sonderweg", für den die Romantik als Gegenbewegung zur Aufklärung in Haftung genommen wird.

Gegen diese These wendet sich Rüdiger Safranski. Zwar sieht auch er Hitler und die Nationalsozialisten in der Tradition der Romantik stehend, wehrt sich aber dagegen, die Romantik allein unter dem obigen Aspekt zu deuten. Die Romantik sei - so Safranski - eine "glänzende Epoche des deutschen Geistes" gewesen. Sie habe große Ausstrahlung auf andere Nationalkulturen gehabt. Ihre Auswirkungen seien bis zur Studentenbewegung zu erkennen gewesen. Doch es sei falsch, die Romantik pauschal zu verdammen. Das Romantische gehöre zu einer lebendigen Kultur und sei eine Fortsetzung der Religion mit ästhetischen Mitteln. Sie dürfe die Politik, die realistisch zu sein habe und den Kompromiss anstreben solle, nicht beeinflussen. "Wenn wir Vernunft der Politik und die Leidenschaften der Romantik nicht als zwei Sphären begreifen und als solche zu trennen wissen, wenn wir statt dessen die bruchlose Einheit wünschen und uns nicht darauf verstehen, in mindestens zwei Welten zu leben, dann besteht die Gefahr, daß wir in der Politik ein Abenteuer suchen, das wir besser in der Kultur finden, oder daß wir, umgekehrt, der Kultur dieselbe soziale Nützlichkeit abfordern wie der Politik. (...) Das Romantische gehört zu einer lebendigen Kultur, romantische Politik aber ist gefährlich." Die Romantik dürfe uns jedoch nicht verlorengehen, denn politische Vernunft und Realitätssinn sei zu wenig zum Leben.

Dies ist das Fazit des Buches von Rüdiger Safranski. Da bleibt ja zu fragen: Was ist Romantik? Warum ist sie gerade in Deutschland so ausgeprägt?

Wer hierauf eine Antwort hören will, der sollte zu dem Titel von Rüdiger Safranski greifen. Das Buch erzählt über diese Epoche, die an den Idealismus und die Aufklärung anschloss (damit hatte sich der Autor in seiner Schiller-Biographie beschäftigt). In einem ersten Teil gibt Safranski einen Überblick über die Geistes- und Literaturgeschichte der Romantik. Er stellt Schriftsteller und Philosophen dieser Epoche, u.a. Novalis, Schlegel, Tieck, die Brentanos, Eichendorff und E.T.A. Hoffmann mit ihren Werken und Ideen vor.

Im zweiten Teil: "Das Romantische" untersucht Safranski die Auswirkungen der Epoche, die "Karriere des Romantischen" bis in die Gegenwart. Sie führt über Heine, Richard Wagner, Nietzsche, Thomas Mann, Stefan George bis zur Philosophie Heideggers und den Verbindungen zwischen Romantik und Nationalsozialismus. Auch nach dem Zusammenbruch werde immer wieder eine Beziehung zwischen Nationalsozialismus und Romantik hergestellt. Es habe - so Safranski - Traditionslinien der Romantik gegeben, die der Nationalsozialismus aufgegriffen habe: die Ideen über Volk und Volkskultur, die romantischen Organismus-Vorstellungen in Bezug auf Staat und Gesellschaft und die romantischen Mytheninterpretationen eins Görres und Creuzer. Es war Joseph Goebbels, der mit dem 30. Januar 1933 die Zeit des Individualismus durch ein sogenanntes "Völkisches Zeitalter", ersetzt sah. Hiermit knüpfte er an romantische Traditionen einer "Volksgemeinschaft" an. Allerdings vertrat der Nationalsozialismus auch Positionen, die nicht in dieser romantischen Tradition standen. So forderte etwa Ernst Krieck, ein maßgeblicher Ideologe im Bereich der Erziehungswissenschaften, den radikalen Bruch mit der geistigen Tradition der Romantik und des Idealismus. Ähnliche Positionen wurden im "Amt Rosenberg" verteten, das für die weltanschauliche Schulung der Parteimitglieder zuständig war. Volksgemeinschaft, so hieß es dort, dürfe nicht mit einer romantischen Idylle verwechselt werden. Das Romantische sei zu quietistisch und habe bei ihrer Flucht vor der unbewältigten Wirklichkeit die einfachen Menschen verraten. Die Angriffe auf die historische Romantik wurden bisweilen so heftig vorgetragen, dass Propagandaminister Goebbels dagen Einspruc erhob und daran erinnerte, dass die Romantik zum kulturellen Erbe gehöre, auf die das deutsche Volk auch gegenüber dem Ausland stolz sein könne.

Die Beziehung zwischen Romantik und Nationalsozialismus sind also - so zeigt Safranski - sehr zwiespältig gewesen. Hitlers Ideen selber seien keinesfalls romantisch gewesen, jedoch stehe er für die Verbindung von Weltfremdheit und weltumstürzenden Furor. "Hitlers Politik gründet auf einen Wahn, der sich bewahrheitete, indem er verwirklicht wurde. Die Menschen, über die Hitler Macht gewann, wirkten dabei mit, als Gläbuige, als Befehlsempfänger, als willige Helfer, als Eingeschüchterte, als Gleichgültige. Die sittliche Kultur der Gesellschaft vermochte jedenfalls diesem Treiben kein Ende zu setzen. Normalerweise trennt der Wahn einen Menschen von seiner Umgebung ab, isoliert ihn und schließt ihn ein. Das Ungeheure des Falels Hitler liegt darin, daß er die Einsamkeit des Wahns überwand, indem er seinen Wahn erfolgreich vergesellschaftete. Es hat verschiedene Motive gegeben, Hitler zu folgen, aber das ändert nichts an dem Ergebnis, daß hier eine ganze Gesellschaft daran beteiligt war, ein Wahnsystem in die Wirklichkeit umzusetzen. Es waren, wie schon gesagt, keine romantischen Ideen, die hier umgesetzt wurden, aber solche Gstalten wie Hitler, die eine ganze Gesellschaft in den Bann schlagen, sind in den Fieberträumen der Romantiker bereits antizipiert worden, etwa in den dämonisch-nihilistischen Machtfiguren Jean Pauls oder in der Gestalt des großen Magnitiseurs bei E.T.A. Hoffmann. (...) Das Volk aber, das sich in diesen kalten Taumel des mörderischen Wahns hineinziehen ließ - gab es damit nicht den stärksten Beweis für seinen mangelnden Realitätssinn, zeigte sich darin nicht doch etwas von dieser Verbindung aus romantischer Weltfremdheit mit dem Furor des Weltensturzes? Dafür spricht, daß der Zusammenbruch der NS-Herrschaft von vielen wie das Erwachen aus einer Benommenheit erlebt wurde, wie das Ende eines Spuks, als sei der Bann gebrochen. Von einem Tag auf den anderen erschien, was eben noch geherrscht hatte, ganz irreal, und es dauerte nicht lange, dann wollten die Menschen sich gar nicht mehr in em wiedererkennen, was sie soeben noch gewesen waren."
Fazit
Diese Sätze gehören zu dem Besten, was meines Erachtens über die Verbindung von Romantik und Nationalsozialismus geschrieben worden ist. Daher kann ich nur sagen: Wer über die Epoche der Romantik näher informiert werden möchte, der greife zu diesem wichtigen, sehr lesenswerten Buch.
10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne

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Vorgeschlagen von Bernhard Nowak [Profil]
veröffentlicht am 03. Juli 2008

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