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Robert Kagan: Macht und Ohnmacht: Amerika und Europa in der neuen Weltordnung

Macht und Ohnmacht: Amerika und Europa in der neuen Weltordnung

von Robert Kagan
Verlag: Siedler Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Politik
ISBN-13 978-3-88680-794-9

Preis: 5,62 Euro bei Amazon.de [Stand: 17. April 2024]
Die Publikaton Robert Kagans gehört sicherlich zu den wichtigsten Streitschriften dieses Jahrzehntes. Keine Frage: die provozierenden Thesen Kagans sind für Europäer schwer verdaulich. Er analysiert aus amerikanischer Sicht die Ursachen der europäisch-amerikanischen Spannungen. Insbesondere lägen sie in unterschiedlichen historischen Erfahrungen (so wurde der Europa-Gedanke primär geboren, um die deutsche Hegemonialmacht einzudämmen, während die USA von Beginn an die Bereitschaft zeigten, ihre Macht - nötigenfalls auch einseitig - einzusetzen). Europa berufe sich gedanklich auf Kant, Amerika auf Hobbes.
Die Kurzfassung dieses sehr interessanten Buches ist ein Aufsatz des Autors, lange im amerikanischen Außenministerium tätig, in der "Policy Review", einer den Republikanern nahestehenden amerikanischen Zweimonatsschrift der Hoover Institution. Der Aufsatz wurde im Oktober-Heft der "Blätter für deutsche und internationale Politik" nachgedruckt. Die Diskussion über den Aufsatz findet sich in den Folgeheften, insbesondere in den Aufsätzen "Gulliver vs. Lilliput: Stellungnahmen zum Stand der transatlantischen Beziehungen.".
Und hier wird es sehr interessant: Wer die Differenzen zwischen Deutschland bzw. dem "alten" Europa (Rumsfeld) einerseits und Europas andererseits verstehen möchte, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Natürlich muss man die Thesen, Europa sei zu schwach und gäbe zu wenig für die Verteidigung aus, es seien die USA, die Europa schützen müssten, nicht teilen. Aber das Gross- und Mittelmächte entscheidende Wahrnehmungsunterschiede besitzen, dies wird deutlich. Kagan schreibt in seinem Buch und seinem Aufsatz: "Als die USA schwach waren, verfolgten sie die Strategien der Schwachen: nun, da sie mächtig sind, benehmen sie sich auch wie ein mächtiger Staat. Als die europäischen Großmächte stark waren, glaubten sie an Stärke und Kriegsruhm. Heute sehen sie die Welt mit den Augen schwächerer Mächte. Diese ganz unterschiedlichen Blickwinkel - aus einer Position der Schwäche oder der Stärke - haben naturgemäß unterschiedliche strategische Einschätzungen hervorgebracht, unterschiedliche Beurteilungen von Bedrohungen und den richtigen Mitteln, diesen zu begegnen." Dies ist richtig. Wie Christoph Bertram in einem 2000 erschienenen Sammelband: "Weltmacht ohne Gegner" (Baden-Baden, 2000) geschrieben hat (also zur Zeit der Präsidentschaft Clintons), schreibt, hat Amerika sich dank seiner Geographie lange Zeit für unverwundbar gehalten (dies endete dramatisch am 11. September 2001), während Europäer durch zwei Weltkriege wissen, dass Unverwundbarkeit eine Illusion ist. Bertram schreibt in seinem interessanten Aufsatz "Partnerschaft und Divergenz: Die amerikanische Außenpolitik und die Zukunft der transatlantischen Beziehungen" weiter, dass Amerika ein viel stärkeres Vertrauen auf technische Lösungen für politische Probleme entwickelt habe als Europa. Insbesondere gäbe es zwischen Europa und den USA eine unterschiedliche Gewichtung zwischen militärischen und nicht-militärischen Mitteln in der Außenpolitik. "Für die Europäer stehen in der neuen Phase internationaler Ungewißheiten soziale und wirtschaftliche Verwerfungen an erster Stelle möglicher Ursachen. Deshalb denken ie bei internationalen Krisen zunächst nicht an die Zerschlagung feindlicher Strukturen durch militärische Intervention, sondern an den Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen durch wirtschaftliche Unterstützung." Dahinter stehe eine tiefsitzende, gelegentlich gewiß die eigene Schwche rationalisierende Überzeugung, auch unfreundliche Staaten könnten zu konstruktivem Verhalten ermuntert werden, wenn man ihre Interessen beachte und ihre Neigung zur Zusammenarbit durch materielle Anreize belohne. "Der Begriff Schurkenstaaten" paßt nicht in ein Weltbild, das vom Bewußtsein der Interdependenz geprägt ist. Militärische Eingriffe als Mittel außenpolitischer Interessenwahrung und Beeinflussung sind nicht ausgeschlossen, werden jedoch vornehmlich als "letztes Mittel" verstanden." Soweit Bertram. Dies ist sehr sehr aktuell, weil es die Auseinandersetzungen im UN-Sicherheitsrat zur Irak-Frage genau wiedergibt. Genau diese Thesen vertritt - vergröbert und plakativ - Robert Kagan. Amerika gibt das zehnfache an Mitteln zur militärischen Verteidigung aus . Das DTV-Jahrbuch 2003 beziffert die amerikanischen Militärausgaben 2001 auf 16,2% des amerikanischen Bruttosozialproduktes. Zum Vergleich: Der gesamte Verteidigungsetat der USA betrug 2001 310, 5 Mrd. US$, Deutschland gab zur selben Zeit 21 Mrd. US-Dollar oder 9,9% seines BSP dafür aus. Für 2003 beziffert Lutz Unterseher den Anstieg der amerikanischen Ausgaben auf 15% bzw - inflationsbereinigt - 50 Mrd. US$. Für 2007 sind 448 Mrd. US$ vorgesehen (Nominalwert), inflationsbereinigt betragen die geplanten Ausgaben 407 Mrd. US$. Trotzdem ist dies mehr als das zehnfache der Ausgaben der Europäer. Dies sind Diskrepanzen, die Kagan benennt. Fazit Kagans aus dieser Situation: "Nur wenige Europäer räumen ein,...dass ein derartiges amerikanisches Vorgehen...durchaus zum Nutzen gereichen mag...Stattdessen betrachten heute viele Europäer die Vereinigten Staaten selbst als den Banditen, den Oberschurken... Da die Vereinigten Staaten ihre Macht wohl kaum einschränken werden und Europa seine eigene Macht bzw. seine Bereitschaft, die Macht, die es besitzt, auch einzusetzen, im besten Falle geringfügig vergrößern wird, dürfte die Zukunft verstärkt von transatlantischen Spannungen geprägt sein." Insofern bestehe die Gefahr einer massiven Entfremdung von Europa von den USA.
Diese Sicht mag einseitig sein, sie wird jedoch - wie der Aufsatz von Bertram zeigt, von vielen Europäern gezeigt. Der Frankfurter Politikwissenschaftler Gunther Hellmann etwa schreibt dazu: "Robert Kagan zeichnet ein sorgenvolles Bild der europäisch-amerikansichen beziehungen. bei allen Überzeichnungen liefert er eine in vieler Hinsicht treffende Beschreibung der zunehmenden Verwerfungen." Dies ist richtig. Um die amerikanische Sicht der Dinge, insbesondere auf dem rechten Flügel der Republikaner, zu verstehen, ist die Lektüre dieses Buches unerlässlich. Hellmann empfiehlt in seinem Aufatz: "wechselseitige Rücksichtnahme" und zitiert Kagan, der der eigenen Regierung "mehr Verständnis für die Empfindsamkeiten anderer und eine großzügigere Geisteshaltung." Dazu gehört auch die Bereitschaft in Europa, mehr Lasten im Bereich Verteidigung zu übernehmen - wie von Amerika, weniger religiöses Sendungsbewußtsein und damit verbrämten Imperialismus (vgl. John Ikenberry: America's Imperial Ambition, in: Foreign Affairs, Jg. 81, Nr. 5, 2002, S. 44-60) zu praktizieren. Es darf amerikanische Interessen nicht als das Non-Plus-Ultra zu betrachten, als einzig legitime Interessen der Menschheit, sondern sollte auf seine Partner hören und zur Politik des multipolaren Interessenausgleiches zurückkehren. Margaret Boveri hat 1946, nach Ende des 2. Weltkrieges,in ihrer "Amerikafibel" geschrieben: "Ihr [der Amerikaner] Geschichtsbild, ihr Geschmack, ihre Denkprozesse sind andere als die europäischen. Verständnis zwischen den Völkern entsteht nicht dadurch, daß der eine die Sprache des anderen lernt, seine Bücher liest, sich auf Gefühle und Reaktionen besinnt, die allen Menschen gemeinsam sind, Verständnis kann erst dann entstehen, wenn das vom Grund auf Andersartige am Gegenüber erkannt und in seinen Wurzeln begriffen wird."
Fazit
Um dies und die amerikanische Politik der Bush-Administration zu begreifen, müssen wir Robert Kagans Buch lesen.
9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne

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Vorgeschlagen von Bernhard Nowak [Profil]
veröffentlicht am 25. März 2003

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