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David Hume: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand

Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand

von David Hume
Verlag: Suhrkamp Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Philosophie
ISBN-13 978-3-518-27005-9

Preis: 17,00 Euro bei Amazon.de [Stand: 15. April 2024]
David Humes (1711-1776) 1748 erschienene Schrift "An Enquiry concerning Human Understanding" gehört zu den einflußreichsten und wichtigsten Texten der Philosophiegeschichte, insbesondere angesichts ihrer Bedeutung für die Philosophiegeschichte Deutschlands und ihre Erkenntnistheorie. Selbst Kant verdankt nach eigener Aussage Hume die "Unterbrechung seines dogmatischen Schlummers" - als wolle Kant damit andeuten, Hume sei der Anstoß zu seiner eigenen kritischen Philosophie namentlich der "Kritik der reinen Vernunft" gewesen. In der Tat, so kann es gesehen werden.

Steht Leibnitz für die Begriffsfolge Verstand - Vernunft - Rationalismus und Hume für Sinn - Empirie - Empirismus, so wird für Kant später im Verstand und im Sinn, in beiden Elementen, das Potential zur Erkenntnis liegen sehen. Kant absolviert damit gleichsam eine transzendentale Synthesis, denn er geht unter anderem entgegen Humes ausschließlichem Empirismus davon aus, daß apriorische Erkenntnis, also Erkenntnis jenseits des in der Natur Erfahrbaren, möglich ist. Er bildet eine Synthese aus Leibnitz und Hume, aus Rationalismus, in dem der Mensch Herr der Welt ist, und aus Empirismus, für den die Natur zentral ist, weil sie das Objekt der menschlichen Verfügungsgewalt (Francis Drake) ist und damit keine Transzendenz mehr anerkennt. Die Sinneserfahrung allein ist im Empirismus schon alles und das Ganze. Über die kantische Intelligibilität siegt mit Hume die Sensualität, über die (spätere deutsche) Idealität die Utilität, über die Universalität die Individualität, über die Ewigkeit die Zeit, über das Ganze der Teil. Damit sind wir bei David Hume angelangt, dem Vater des Empirismus, dem konstruktiven Anstoß Immanuel Kants, dem Vordenker des englischen Philosophie-Begriffs. Doch langsam - eine Rückblende.

Hume behandelt in der vorliegenden Schrift Probleme der theoretischen und der praktischen Philosophie. Zur theoretischen Philosophie werden dabei erkenntnistheoretische Analysen gezählt, und zwar die erste Grundlegung des Empirismus. Sie findet sich in dieser Schrift. Humes Grundaussage des Empirismus als Erkenntnistheorie ist, "daß Ursachen und Wirkungen nicht durch die Vernunft, sondern durch die Erfahrung zu entdecken sind." (48) Zur praktischen Philosophie gehören die Überlegungen zur Willensfreiheit (Freiheitsproblem), die Diskussion des physiko-theologischen Gottesbeweises sowie die Analyse der Vertrauenswürdigkeit von Wunderberichten. Neben diesen bedeutenden Themen der Philosophie finden sich in der "Enquiry" auch ontologische Analysen bezüglich der Existenz der Außenwelt sowie Überlegungen zum Theodizeeproblem, zur Anthropologie, zur Frage nach der Verantwortlichkeit des Menschen, zur Methode in der Geschichtsschreibung und sogar zur Dichtkunst. Hume hat Lockes Empirismus und Berkeleys Idealismus zu einem Positivismus weitergebildet, der den Skeptizismus bildet, für den Hume bekannt werden sollte, weil er die Möglichkeit metaphysischer Erkenntnis bestreitet und keine apriorische, von Beginn an absolut gewisse Erkenntnis, anerkennt - gewissermaßen ein vorkantischer Anti-Kant.

Hume analysiert die Erkenntnis, besonders die fundamentalen Begriffe der Kausalität und der Substanz, und kommt zu dem Ergebnis, daß nichts als real anzunehmen ist, was nicht auf äußere oder innere Erfahrung - auf "Eindrücke" beider - sich gründet und daß sichere Erkenntnis nicht weiter reicht als Erfahrung, eben nicht ins Transzendente hinein. Eindrücke (Impressionen) und Ideen (Vorstellungen) als weitergesponnene Kopien der ursprünglichen Eindrücke machen für Hume den Bestand des geistigen Lebens aus. Es gibt einfache und zusammengesetzte, ursprüngliche und reflektive Eindrücke. Aus Eindrücken stammen alle Vorstellungen und Begriffe ("ideas"), die von jenen nur durch ihre geringere Lebhaftigkeit und Frische unterschieden sind. Die Ideen sind "faint images", Kopien der Eindrücke. Humes Typensystem der Bewusstseinsinhalte kennt acht Arten von Perzeptionen (Wahrnehmung), die bestimmt werden durch drei Unterscheidungen. Hierzu ist die vortreffliche Übersichtsliste im angefügten Kommentar auf Seite 264-265 empfehlenswert: Alle Perzeptionen sind bei Hume Eindrücke (Wahrnehmung) oder Ideen (Denken). Dazu gibt es einfache oder komplexe Perzeptionen.

Das Denken besteht in einem Verbinden und Vergleichen von Ideen, im Auffinden der Beziehungen zweier Objekte; es ist nicht schöpferisch, nur zusammensetzend. Sprich: Träume ich von Büchern, so tue ich dies nur deshalb, weil ich Bücher real gesehen habe und sie dadurch Bestandteil meines Denkens wurden. Nach Hume - so könnte man sagen - gibt es keine Vorstellung von Büchern ohne Bücher, die schon mal materiell durch unsere Sinne - eben empirisch - wahrgenommen wurden. Es fragt sich hier nur im Sinne einer Kritik an Hume, warum der Mensch dann Bücher schaffen konnte, denn diese waren vorher nicht gegeben und sind dennoch real geworden. Sie können doch nur Essenz menschlicher Ideen und apriorischer Bewusstseinsinhalte gewesen sein, nämlich solcher Ideen, die Papiere mit Schriftinhalt zu verbinden gedachten. Bücher sind eben das Ergebnis apriorischer menschlicher Erwägungen. Was Hume dem entgegnet hätte, bleibt dem Leser selbst zu ergründen überlassen. Eine apriorische Erkenntnis von Tatsachen ist dagegen für Hume trotzdem unmöglich, alle Tatsachenerkenntnis ist empirisch, durch Erfahrung bedingt.

Interessant sind Humes Klarstellungen wichtiger Begriffe. So in dem Kapitel "Über Freiheit und Notwendigkeit". Dort findet sich seine Definition von Freiheit, als Kern von Humes praktischer Philosophie. Freiheit gilt ihm als "eine Macht zu handeln oder nicht zu handeln, je nach den Entschließungen des Willens (determinations of the will)." (124) Wie immer bei der Studienbibliothek des Suhrkamp-Verlages befindet sich am Ende eine Rezeptionsgeschichte.

Speziell interessant ist die Rezeptionsgeschichte Humes in Deutschland, wo er als rigoroser Skeptiker wahrgenommen wurde, aber sein Werk nicht als Wegweisung aus einer Sackgasse sondern mit Kant und Hegel als Ausgangspunkt für neue Wege, weitere Reflexionen und Syntheseabsichten begriffen wurde. Das deutsche Ganzheitsdenken konnte sich nicht mit dem humeschen Partikularismus der Empirie abfinden, fokussierte man doch gerade in Deutschland die geistigen Potentiale, dazugehörig die intelligible Welt und dem entgegengesetzt die materielle Welt lediglich als Modalität der Idealität. Hume ist hier immer Ausgangspunkt für eigenes, gleichwohl auch komplexeres Denken. Hume wird bei Kant dezidierter Anstoß zur großartigen "Kopernikanischen Wende" in der Philosophie: Die Welt richtet sich im Vorgang des Erkennens nach dem Subjekt und eben nicht nach der Natur als dem empirischen Objekt.

Das vorliegende Buch brilliert mit 270 Seiten Kommentar von Lambert Wiesing, der eine Inhaltszusammenfassung bietet, die Entstehung des Werkes und die Präsentation des Textes in Exzerpten absolviert. Die Entstehung des Werkes wird rekapituliert mit dem Ergebnis, daß Humes Leistung vorrangig Produkt einer vorhergehenden Enttäuschung, nämlich der völligen Ignoranz gegenüber seinem Vorläuferwerk, war. Enttäuschung und Bedrängnis führen offensichtlich zu verstärkter Leistung und Schöpferkraft - Geist und Gefühle eben zu vorrangig mehr geistiger Leistung, jenseits einer empirischen Fixierung. Die englische Originalübersetzung befindet sich an zentralen Stellen in Klammern, so daß der Leser die Begriffe Humes in ihrer Originalsprache nachvollziehen kann, etwa "geistige Tätigkeiten" (operations of the mind), "unmittelbares Bewußtsein" (immediate perception). Dies bietet das Buch während des gesamten Textes. Stellenkommentare zum gesamten Originaltext sind am Ende leicht auffindbar, ebenso ein Verzeichnis zentraler Begriffe bei Hume: Außenwelt (external universe), Einbildungskraft (imagination), Lehre von der Freiheit (doctrine of liberty). Die vorliegende Schrift der neuen Reihe Suhrkamp Studienbibliothek ist damit wieder einmal ideal als erste Orientierung für Theorieeinsteiger und schafft eine fundierte geistige Grundlage, die das Bewußtsein für philosophische Sachverhalte schärft. Wie würde Hume sagen: "Das Bewußtsein täuscht niemals - But consciousness never deceives."
Fazit
Eine Grundlage jeglicher Auseinandersetzung mit philosophischer Erkenntnistheorie.
8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne

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Vorgeschlagen von Daniel Bigalke [Profil]
veröffentlicht am 02. November 2007

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