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Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte. Nachwort von Detlef Felken

Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte. Nachwort von Detlef Felken

von Oswald Spengler
Verlag: dtv [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Philosophie
ISBN-13 978-3-423-30073-5

Preis: 7,88 Euro bei Amazon.de [Stand: 19. April 2024]
Er sah sich selbst als Dichterdenker, der aus der Vogelperspektive die Geschichte der Kulturen beschreiben wollte und für sich eine höhere Wahrheit beanspruchte - Oswald Spengler (1880-1936). Er wollte Poesie betreiben, ein mythopoetisches Kunstwerk schaffen, er war ein Metahistoriker, d.h. er dachte eher über den Sinn der Geschichte nach als über die Richtigkeit historischer Fakten, und er interessierte sich mehr für metaphysische Phänomene, die historischen Prozessen zugrunde lagen, und für die symbolische Bedeutung historischer Ereignisse als für wissenschaftliche Erkenntnisse. Wer sich nicht auf diese Ebene - zusammen mit Spengler - stellt, wird sein Anliegen nicht verstehen (wollen).

Dennoch, auf polemische Weise führte er mit seiner Kulturkreistheorie den Deutschen die tatsächliche Situation in ihrem Lande vor Augen und forderte sie auf, daraus Konsequenzen zu ziehen. Das vorliegende Buch ist sein Hauptwerk, erschienen 2000 bei dtv. Es bietet seine Geschichtsphilosophie in Gänze recht preiswert dar.

Edgar Julius Jung (1894-1934), Verfasser der 1934 von Franz von Papen gehaltenen Marburger Rede, schrieb über die Bücher Spenglers: "Diese Schriften, von denen keine veraltet ist, schon weil alle darauf warten, erst noch verstanden zu werden, tragen einen Wert in sich." Ohne Zweifel ist das Buch "Der Untergang des Abendlandes" hier von besonderer Bedeutung. Spengler erklärt darin sowohl die kausalen Erklärungsmodelle des Positivismus Darwins und Newtons als auch den historischen Materialismus von Marx als völlig ungeeignet für die historischen Wissenschaften. Dies verdeutlicht er selbst in seiner Neigung zu poetisch-visionärer Bildersprache, die zugleich den Leser mit einem gewissen Realismus beeindruckt. Er erkennt eine konservative Weltanschauung, die latent die Konturen einer politischen Theorie trägt.

Spenglers Geschichtsdenken ist futuristisch. Als Konservativer ging es ihm nicht um eine ausschließlich in die Zukunft reichende Zielsetzung von Politik und Kultur, sondern er war im Kern seiner Vision vom "Untergang" der Überzeugung, daß die zukünftigen historischen Erbschaften des Menschen, seine Gemeinschaften, die Völker und Sprachen auf die industrielle Gesellschaft zurückwirken, im Rahmen von Widerstand, von pragmatischen Inseln an Menschlichkeit samt ihrem Anspruch an Innerlichkeit und Freiheit. Diese Inseln sind der Sporn im Fleische des "sekundären Systems" (Hans Freyer), im Fleische eines auf Profit bedachten Lebens und Denkens, welches Spengler in seinem Buch kurz als den Zustand der "Zivilisation" bezeichnet. Zivilisation bedeutet ihm die Entseelung des Menschen. Es fehlt ihm in dieser Epoche an künstlerischer Inspiration, moralisch-religiösem Bewußtsein und innerem Erleben. Diese Dekadenzstimmung des Fin-de-siècle, die Spengler so stark beeinflusste, war Ausdruck eines kulturellen Krisenbewußtseins und einer Angst vor dem Niedergang des eigenen sozial-ökonomischen Status.

Die zyklische Theorie Spenglers, wonach Kulturen ihrem Ende entgegenarbeiten, gehört zum Strang der Kulturpessimisten u.a. im Gefolge des als Vermittler zwischen Schopenhauer und Nietzsche geltenden Philosophen Philipp Mainländer, dessen Szenario der innerweltlichen "Autodestruktion" (Ulrich Horstmann) sowie der menschlichen und kulturellen Erosion nur noch wenigen bekannt ist. Ob Spengler Mainländer kannte, ist nicht erwiesen; als Verehrer Nietzsches proklamierte sich Spengler hingegen selbst. Er erklärt die Krise der westlichen Zivilisation in "Der Untergang des Abendlandes" (1919) über den Topos der Antithese von Kultur und Zivilisation im Rahmen der Periodik eines unvermeidlichen organischen Ablaufes von Kulturen, die infolge eines zunächst vitalen Lebens in der Zivilisation gipfeln. Wohl wissend um die Brillianz des wissenschaftlich-rationalen Denkens und die Kraft der Ästhetik technischer Errungenschaften, wagt es Spengler zu behaupten, daß in den äußeren Merkmalen einer Kultur das innere ausgedrückt werde. Die Zivilisation sei das unausweichliche Schicksal einer Kultur.

Der "Untergang des Abendlandes" ist aber mehr als nur eine Zukunftsphilosophie. Das Buch trägt eine dichterisch umsäumte und sprachlich ergreifende politische Botschaft. Metaphysik, Kulturphilosophie und Politik sind in ihm eng verbunden und versammeln sich zur Artikulation eines subjektiven Anliegens. Spengler stellt ganz individuell die Veränderung des sozialen und politischen Raumes bis in die Zukunft hinein fest. Das Aussprechen existentieller individueller Erfahrungen, wie die Furcht vor dem Zusammenbruch einer haltgebenden Ordnung, schärfte sein Krisenbewußtsein, womit der Titel seines Hauptwerkes eigentlich verständlich wird. In seinem Buch spricht er kulturphilosophisch vom "Urgefühl der Sehnsucht", von "Weltangst" und der "Gewißheit eines Schicksals".

Die heute kaum noch oder immer mehr vernehmbare Feindschaft gegen das liberale und ausschließlich individualistische Prinzip des ‚Westens’ oder jenes Konstrukt, das sich als "liberal" in aller Welt proklamiert, tut sich schon bei Spengler kund. Ihm setzte er ein seiner Meinung nach ordnungsstiftendes transindividuelles Gemeinschaftsprinzip entgegen, verbindet es mit einer apokalyptischen Aufladung der deutschen Geschichte als Chiffre für die Vision einer haltgebenden Institution von Staat und trifft damit nach wie vor die politischen Gemüter - den Geist der Zeit. Auch Spengler entzog sich also im "Untergang" nicht den direkt politischen Inhalten. Sein Buch ist diesbezüglich das ausdruckstärkste Werk.
Eine zunehmende Atomisierung und Entzweiung des Lebens, die Leichtgläubigkeit des Menschen angesichts winkender Vorteile sind befürchtete Schrecknisse für Spengler, der Angst, Neurose, allgemeine Primitivierung und Realitätsverlust der Massengesellschaft als zerstörerisches Potential eines vitalen Staates ausmachte.

Die vorliegende Ausgabe des "Untergangs" vom dtv-Verlag zeichnet sich vor allem durch das nüchterne Nachwort von Detlef Felken aus, der für den Leser die Rezeptionsgeschichte, eine Biographie und weitere Analogien spenglerischen Denkens beispielsweise zu Toynbee darlegt. Interessant ist im Nachwort, daß Felken meint: "Die Symptomatik der Krise hat sich seither in vielem gewandelt, aber das Krisenbewußtsein selbst ist ein konstanter Begleiter des 20. Jahrhunderts geblieben." Man möchte sagen, daß es dies auch im 21. Jahrhundert bleiben wird. Freilich, die Aussage, daß eine "Spengler-Renaissance" bisher nicht stattgefunden habe, mag auf die Zeit der Veröffentlichung dieser Ausgabe im Jahre 2000 zurückzuführen sein, denn erst in den vergangenen sieben Jahren sind viele neue Studien zu Spengler und auch Neuausgaben seiner eigenen Schriften erschienen. Darin scheint Felken widerlegt. Von diesen neuen Schriften wird demnächst die nüchterne Analyse "Jahre der Entscheidung" von 1933 noch zu besprechen sein.

Im "Untergang des Abendlandes" zumindest steckt die Botschaft, daß man in Übereinstimmung mit dem Stand der Zivilisation die moderne Zeit akzeptieren sollte, aber zugleich zum politischen Aktivismus und zum Widerstand übergehen kann - bereit sein sollte. Das vage Profil eines Führertypus und das Plädoyer für eine pragmatische Machtelite jenseits des Parteihaders bildeten deshalb Spenglers politischen Hauptideenkomplex. So läßt sich resümierend auch eine wichtige und oft verkannte "Realdialektik" (Bahnsen) bei Spengler feststellen: Spengler vergötterte das Schicksal, das zum Untergang des Abendlandes führen müsse, aber zugleich werde es einen neuen vitalen Cäsarismus, neue politische Leistungsbereitschaft ausgehend von zunächst wenigen mit sich bringen und entfalten - "Ich sehe schärfer als andere, weil ich unabhängig denke, von Parteien, Richtungen und Interessen frei.... Ich sehe noch mehr voraus, aber ich fühle mich einsamer als je, nicht etwa wie unter Blinden, sondern wie unter Leuten, die ihre Augen verbunden haben, um den Einsturz des Hauses nicht zu sehen. Will man mich endlich hören und nicht nur lesen?" Anregend und bedrückend - so also der Eindruck bei der Lektüre. Beides jedoch hat im Leben seine Berechtigung. So auch Spenglers Werk - wenn man gewillt ist, sich ihm zu öffnen.
Fazit
Im "Untergang des Abendlandes" zumindest steckt - unerwartet - die Botschaft, daß man in Übereinstimmung mit dem Stand der Zivilisation die moderne Zeit akzeptieren sollte.
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Vorgeschlagen von Daniel Bigalke [Profil]
veröffentlicht am 24. Oktober 2007

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