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Gert Postel: Doktorspiele

Doktorspiele

von Gert Postel
Verlag: Eichborn Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Biografie
ISBN-13 978-3-8218-3917-2

Preis: 14,31 Euro bei Amazon.de [Stand: 23. April 2024]
Dieses autobiographische Werk des Autors und Hauptprotagonisten Gert Postel handelt davon, wie er als eigentlicher Briefträger von Beruf als geschätzter Oberarzt der klinischen Psychiatrie berühmt geworden ist. Er verhandelte mit den Ministerialen im Dresdner Sozialministerium erfolgreich um Leitungspositionen, schrieb psychiatrische Gutachten für sächsicher Schwurgerichte, genoss eine Privataudienz beim Papst, diskutierte unter vier Augen mit seinem Minister - bis eine kleine Unregelmäßigkeit seiner schillernden Karriere ein jähes Ende setzte. Gert Postel ist ein notorischer Hochstapler. Charmant, belesen, originell, aber: ein Hochstapler. Ein Meister der Verstellung, der mit Witz, Chuzpe und einer großen Portion Menschenkenntnis und Nonchalance gegenüber den Strafgesetzen seinen Traum von akademischen Weihen (ohne Abitur...) und gesellschaftlichen Aufstieg verwirklichen wollte. Postel fälschte Zeugnisse und Urkunden, bezirzte Professorinnen, schmeichelte Klinikdirektoren - und er erfand sich und seine abstrusen Legenden mit jener Leichtigkeit, die nicht nur seine Förderer für das wahre Leben hielten.
[Quelle: Auszüge aus dem Vorwort]

Dieses Werk ist ein einzigartiges Faszinosum, zugleich auch Experiment eines im Grunde bedauernswerten Menschen. Vom eigenen Vater emotional sowie intellektuell nicht gefördert, versucht er das Unmögliche, eine akademische Karriere in einem gerade bildungstechnisch doch so gut durchorganisierten Staat. Das wirklich geradezu Unverfrorene daran, die Chuzpe wie er es nennt, ist, dass ihm dieses Vorhaben mit "akademischer Brillanz" gelingt, bis ihm angesichts dieses Könnens dumme Fehler Grenzen offenbaren.
Genauso brillant wie diese verbrecherisch bis ins Detail ausgefeilte Tat werden die zur Bildungselite partizipierenden Akademiker der Mediziner, Psychologen und nicht zuletzt Juristen mit ungeheurer Eloquenz als Dilettanten entlarvt. Dabei gelingen dem Autor besonders die für den Leser sehr überraschend auftauchenden Seitenhiebe auf diese Berufszweige sehr gut, da diese Überraschungseffekte die schon a priori sehr gelungenen Pointen noch geschliffener erscheinen lassen. So unterbricht er den Erzählfluss an einer Stelle besonders gelungen und durchdacht, indem er erzählt, warum er denn "durch und durch ein Konservativer ist" und das "Kleinbürgerlich-Unechte bei Schröder" verachtet.
Beeindruckend sind die zahlreichen Abbildungen von originalen Beurteilungen leitender Oberärzte, die Gert Postel ausnahmslos mit dem Prädikat "übertrifft die Anforderungen" bewerteten.
Jedoch ergeben sich bei näherer Betrachtung der Biographie Postels auch gewisse Unstimmigkeiten. Beispielsweise war in live-Interviews niemals die Rede davon, dass der überführte Straftäter im Gefängnis seine früher favorisierte Literatur Schopenhauers unangetastet ließ, ja sogar später verbrannte. Ganz im Gegenteil: Darin sagte er, dass er in Haft genug Zeit hatte, Schopenhauers Werke zu studieren. Und auch die Beziehung zu der Russin Irina, die er angeblich während seiner Haftstrafe kennen lernte, wirkt außerordentlich unglaubwürdig. So blickt er auf eine "zehnjährige Ehe" mit ihr zurück, kann sie aber rein rechnerisch erst im Jahre 2000 das erste mal gesehen haben, wenn man bei den Fakten bleibt. So bleibt dem Leser auch hier der Anschein nicht verwehrt, dass Postel abermals versucht, seinem Gegenüber (hier: dem Leser) einen Bären aufzubinden, zu testen, wieweit er denn gehen kann.
Fazit
Blickt man über diese (nicht nur vereinzelt auftretenden) inhaltlichen Ungereimtheiten hinweg, erlebt man ein sprachlich kunstvoll gelungenes, groteskes Werk.
Tipp: Das Buch am Stück durchlesen, um die pittoresk gereihten, humoristischen Einzelheiten im Gesamtkontext wirken zu lassen.
6 Sterne6 Sterne6 Sterne6 Sterne6 Sterne6 Sterne6 Sterne6 Sterne6 Sterne6 Sterne
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Vorgeschlagen von Christian Preihs [Profil]
veröffentlicht am 11. Januar 2003

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