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Jochen Buchsteiner: Die Stunde der Asiaten

Die Stunde der Asiaten

von Jochen Buchsteiner (Biografie)
Verlag: Rowohlt Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Sachbuch
ISBN-13 978-3-498-00646-4

Preis: 1,99 Euro bei Amazon.de [Stand: 19. April 2024]
Die Einschätzung Asiens durch Europäer schwankt zwischen folkloristischer Verklärung und überholtem Hochmut gegenüber "Entwicklungsländern". Doch statt allein höflich lächelnde Pauk-Schüler hervorzubringen und uns mit Billig-Spielzeug zu versorgen, konkurrieren asiatische Länder inzwischen mit der restlichen Welt um knappe und kostspielige Energie-Vorräte. Deutsche Arbeitnehmer fürchten die Verlagerung ihrer Arbeitsplätze in Billig-Lohn-Länder. Die Einführung eines chinesischen Billig-Autos auf dem europäischen Mark konnte sich noch vor kurzer Zeit niemand vorstellen. Wir verklären aus der Entfernung Sushi und Aikido; asiatische Eliten - an amerikanischen Universitäten erstklassig ausgebildet - kritisieren unterdessen knallhart die wirtschaftlichen Verhältnisse der sich ihnen überlegen fühlenden demokratischen Staaten.

Während wir Frieden und Wohlstand für ein verbrieftes Recht halten, werden in Asien Tausende in ein Leben ohne soziale Hängematte entlassen. Ehrgeizige, bestens ausgebildete junge Fachkräfte drängen auf den Welt-Arbeitsmarkt. Das Durchschnittsalter in Indien beträgt 26 Jahre, das in Deutschland 40 Jahre. Während wir asiatische Kulturen als stark religiös geprägt wahrnehmen, befinden sie sich längst im Umbruch: Überalterung droht dort eher als im Westen, gewohnte Familien-Modelle werden in Frage gestellt, die junge Generation ist an westlichen Konsum-Gewohnheiten orientiert.

Am Beispiel Chinas beschreibt Buchsteiner, wie nach der "mentalen Entkernung unter Mao" ohne historische Fesseln schonungslos experimentiert und ein materialistisch-atheistisches System etabliert wurde. Der Autor kritisiert, dass Chinas Entwicklung zur Weltmacht von Europa entweder gar nicht wahrgenommen oder relativiert wird. Niemand mag sich vorstellen, dass in 30 Jahren die Welt von einer G3 aus China, Indien und den USA regiert werden könnte. Auch enge Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Iran und China, die nukleare Zusammenarbeit zwischen China, Nordkorea und Pakistan sind bei uns kein Thema. Dass Asien bisher fälschlich als reiner Absatzmarkt betrachtet und noch nicht als Konfliktherd erkannt wurde, erklärt Buchsteiner mit der überholten Sichtweise ehemaliger Kolonial-Staaten. In Europa werde viel zu wenig über asiatische Staaten gelehrt und gelernt.

Buchsteiner portraitiert Indien als Dienstleistungs-Zentrum der Zukunft, die Atommächte Korea und Pakistan, sowie die Konfliktherde Kaschmir, Taiwan und Korea. Er skizziert die Situation in der islamisch geprägten und US-Amerikanisch dominierten Region Afghanistan-Pakistan-Indonesien. Mit über 700 000 in Asien stationierten Soldaten zeigen die Amerikaner dort Militärpräsenz. Um die Sympathie junger Asiaten brauchen die USA nicht zu werben; denn die junge Generation wird geprägt von Einkaufs-Mall-Kultur und raubkopierten amerikanischen Filmen, ihr Englisch ist Amerikanisch. Doch statt kulturell und bildungspolitisch Präsenz zu zeigen, spart Deutschland seine wenigen kulturellen Brückenköpfe ein. "Von allen gemocht, von niemandem gefürchtet" sei das Dorf Deutschland ins Abseits geraten.

Nachtrag 2008:
Seit dem Erscheinen der Hardcover-Ausgabe im Jahr 2005 hat die chinesische Firma Jiangling Motors mit ihrem Geländewagen Landwind Aufmerksamkeit erregt. Auch der indische Autoherstellers Tata lenkte mit der Ankündigung eines preiswerten Kleinwagens den Blick auf die wachsende Wirtschaftsmacht Indien. Während Europa nach wie vor auf eigene Probleme zentriert ist und die Staaten Asiens weiter als reine Absatzmärkte und Billig-Produzenten wahrnimmt, rückten aktuelle Ereignisse inzwischen China wieder in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Buchsteiner stellt kritisch fest, dass unsere Aufmerksamkeit stärker von Urlaubsreisen, Literatur und Waren aus Asien erregt wird, als von drängenden sicherheitspolitischen Herausforderungen durch nationalistische Bewegungen oder Fragen des Umweltschutzes. Der Autor möchte den Blick seiner Leser auf die Wirtschaftskraft Asiens richten und auf die Fähigkeit asiatischer Staaten, Krisen und Spannungen zu meistern. Nüchtern konfrontiert Buchsteiner mit dem europäischen Desinteresse an bewaffneten Konflikten und der nuklearen Bedrohung, die von asiatischen Staaten ausgeht.
Fazit
Mit "Die Stunde der Asiaten" schließt Buchsteiner eine Lücke in der europäischen Asien-Berichterstattung. Auch die aktualisierte und erweiterte Taschenbuch-Ausgabe 2008 informiert knapp und kompetent.
8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne

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Vorgeschlagen von Helga Buss [Profil]
veröffentlicht am 18. September 2005

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