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Oskar Lafontaine: Das Herz schlägt links

Das Herz schlägt links

von Oskar Lafontaine
Verlag: Econ Ullstein List Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Politik
ISBN-13 978-3-430-15947-1

Preis: 18,67 Euro bei Amazon.de [Stand: 28. März 2024]
Ich habe dieses Buch aus zwei Gründen gelesen. Zum einen wollte ich näheres über die wirtschafts- und finanzpolitischen Vorstellungen Lafontaines erfahren. Außerdem wolllte ich über die Gründe seines Rücktritts informiert werden.
Die Darlegungen zu Lafontaines finanzpolitischer Sicht haben mich zwar nicht überzeugt, sind aber argumentativ plausibel und lehnen sich an neo-keynisianische Konzepte der Nachfragestärkung im Sinne des amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers Paul Krugman an, dessen Bücher ebenfalls sehr argumentativ sind. Was mir bei der Betrachtung dieses Aspekts zu kurz kommt, ist, dass ein Land alleine eine keynsianische Finanz- und Wirtschaftspolitik, etwa die Einführung einer Steuer auf Kapitalströme, die sogenannte Tolbin-Steuer, nicht erheben kann. Lafontaine zeigt, dass für seine diesbezüglichen Pläne lediglich der japanische Finanzminister Verständnis gehabt hatte. Aber dennoch ist für diesen Teil zu konstatieren: Standpunktlosigkeit kann man Lafontaine nicht nachsagen, er weiß, was er will. Diesen Teil des Buches fand ich interessant, ebenso seine Darstellung und Kritik am Kosovo-Einsatz der Bundeswehr, der zeigt, dass Lafontaine auch außenpolitisch auf Distanz zur Regierung Schröder ging.

Plausibel erscheinen mir nach der Lektüre des Buches auch die von Lafontaine genannten Rücktrittsgründe: es waren tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten mit Bundeskanzler Schröder über die zu verfolgende Politik. Am Tag vor Lafontaines Rücktritt hatte Schröder im Kabinett verklausuliert mit seinem eigenen Abgang gedroht, da mit ihm eine industriefeindliche Politik nicht zu machen sei. Diese Äußerung, sogleich an die "Bild"-Zeitung lanciert, war für Lafontaine der Auslöser zu seinem Rücktrittsentschluss. Auch die Tatsache, dass Lafontaine als Parteivorsitzender abtrat, ist konsequent. Partei- und Regierugnschef müssen sich nicht lieben, aber harmonisch miteinander zusammenarbeiten können, um Erfolg zu haben. Dies war nach den Ereignissen vom März 1999 nicht mehr möglich.

Meine Kritik an dem Buch ist eine ganz andere und hier folge ich Egon Bahr. Mich ärgert, dass vertrauliche Gespräche Lafontaines mit seinen Politikkollegen einfach ausgeplaudert werden. Wenn Vertraulichkeit vereinbart wird, müssen sich alle Seiten daran halten. Der Inhalt der Gespräche wurde von keinem der beteiligten Politiker dementiert; sie dürften also so, wie Lafontaine sie schildert, stattgefunden haben. Aber der Bruch der Vertraulichkeit ist für mich nicht hinnehmbar.

Im übrigen muss ich persönlich anmerken: wenn ein Politiker, wie Lafontaine, für eine bestimmte Politik steht, so hat er damit auch die Pflicht, für diese Politik im Sinne derer, die auf ihn hoffen, zu kämpfen. Nach bereits vier Monaten "hinzuschmeißen", halte ich daher nach wie vor für falsch. Zumindest hätte Lafontaine ein ausführliches Gespräch mit Schröder suchen müssen, bevor er seinen Entschluss zum Rücktritt bekannt gab. Lafontaine hatte mit seinem schlüssig formulierten Politikentwurf ja mit zum Wahlsieg der SPD beigetragen; zahlreiche Traditionswähler, die er 1998 dazu brachte, SPD zu wählen, hätten dies ohne ihn und seine Politikvorstellungen nicht getan. Insofern war meines Erachtens die Vorspiegelung von Gemeinsamkeiten mit Gerhard Schröder vor der Wahl reine Show; sie entsprach nicht der Wahrheit. Der Richtungsstreit in der SPD hätte vor den Wahlen ausgetragen werden müssen. An diesem Versäumnis scheint die SPD heute noch zu leiden, da sie der Politik Schröders in Bezug auf die Agenda 2010 offensichtlich nur zögernd folgt. Insofern werfe ich Lafontaine und Schröder vor, mit der Vorspiegelung von Eintracht zwischen März und September 1998 die Wähler getäuscht zu haben - aus sicherlich nachvollziehbaren Gründen: Lafontaine sollte die Traditonswähler, Schröder die Wähler der "Neuen Mitte" einfangen. Dies ist auch gelungen - aber dann trennte sich, was offenbar nicht zusammengehörte. Hätte es nicht die Ehrlichkeit geboten, diese Differenzen schon vor der Wahl 1998 zu benennen?

Ein weiterer Punkt der mich stört: bei aller Plausibilität der Argumente scheint Lafontaine für Zwischentöne kein Gespür zu entwickeln: nur er scheint richtig zu liegen, alle anderen falsch. Das Mannschaftsspiel habe nicht funktioniert, sagt Lafontaine, aber ich habe aus dem Buch den Eindruck gewonnen, dass Lafontaine selber kein Mannschaftsspieler war: er sagte, wo es lang ging und die anderen hatten zu folgen. So moniert er, Schröder habe Kabinettsmitglieder wie Bodo Hombach ohne seine Zustimmung ernannt. Nach dem Grundgesetz schlägt jedoch der Bundeskanzler, nicht der Vorsitzende einer Partei, dem Bundespräsidenten die Bundesminister zur Ernennung vor. Es scheint mir klar, dass Schröder sich dieses Vorrecht von Lafontaine nicht nehmen lassen wollte. So bleibt bei mir der schaale Eindruck, Lafontaine sei nicht nur wegen sachpolitischer Differenzen zu Schröder, die im Buch gut herausgearbeitet werden, zurückgetreten, sondern wegen beleidigter Eitelkeit. Und dies ist sehr schade, da insbesondere - wie oben erwähnt - die wirtschaftspolitischen und außenpolitischen Überzeugungen Lafontaines eindringlich und durchaus plausibel vorgetragen werden. Insofern überwog bei mir nach der Lektüre - bedingt auch durch einen meines Erachtens vorhandenen - gewissen wehleidigen Ton - ein Zwiespalt der Gefühle. Ist hier wirkliche Aufklärung über die politischen Positionen und die Rücktrittsgründe von Lafontaine Ziel des Autors oder spielen nicht doch Rachegefühle und beleidigte Eitelkeit eine wichtige Rolle bei der Publikation des Buches? Dies wurde mir leider nicht ganz klar. Letzteres scheint doch eine Rolle gespielt zu haben und mindert den Wert des ansonsten durchaus lesenswerten Buches - zumindest aus meiner Sicht.

Fazit
Es bleibt bei mir ein Zwiespalt der Gefühle.
4 Sterne4 Sterne4 Sterne4 Sterne4 Sterne4 Sterne4 Sterne4 Sterne4 Sterne4 Sterne
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Vorgeschlagen von Bernhard Nowak [Profil]
veröffentlicht am 25. August 2004

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